Gott und Darwin
Der Humanistische Verband will Religionen nicht verdrängen, sondern fordert gleiche Rechte
Vor elf Jahren wurde ihre Tochter schwer krank. Heike Kuschmierz hätte sich damals Beistand gewünscht, Beratung, wie diese Situation zu meistern sei. Doch auf dem Anmeldebogen des Ostberliner Krankenhauses konnte sie nur ankreuzen: Wollen Sie einen katholischen oder einen evangelischen Pfarrer? Weder noch. Kuschmierz hat mit Religion nichts im Sinn, moralische Unterstützung hätte sie trotzdem gebraucht. Auch die Krankenhauspsychologin war nicht verfügbar. Letztlich war Kuschmierz auf Freunde angewiesen. »Die haben mir Stütze gegeben.«
Damals vermisste sie ein Angebot, später kam Ärger hinzu. Ärger, dass jemand wie sie offenbar gar nicht mitgedacht wird. Eine Frau, die Gott nicht braucht. Die sagt: »Man kann ein glückliches, sinnerfülltes Leben führen, ohne dass man einen religiösen Bezug braucht.« In Deutschland teilen das viele Millionen Menschen. Doch in der öffentlichen Wahrnehmung kommen sie kaum vor: Atheisten, Humanisten, Konfessionslose.
Aber ist das Diskriminierung? Heike Kuschmierz ist entschieden: Klar sei das strukturelle Diskriminierung. Was solle es sonst sein, wenn eine Gruppe als nicht existent behandelt wird?
Vor drei Wochen hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Umfrage gestartet. Sie will herausfinden, wer in Deutschland wann Diskriminierung erlebt hat. »Wir brauchen mehr Informationen, um Betroffenen besser helfen zu können«, sagte die Leiterin Christine Lüders zum Auftakt. Die Ergebnisse sollen in einen Bericht an den Bundestag einfließen. In ihrem Aufruf werden viele potenziell Betroffene direkt angesprochen: Junge, Alte, Zugewanderte, Religiöse oder Menschen mit Behinderung. Nichtreligiöse Menschen sind nicht explizit erwähnt. Aber selbstverständlich mit gemeint, wenn sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, versichert ein Sprecher der Behörde, allerdings lege man einen Schwerpunkt auf zivilrechtlich und arbeitsrechtlich fassbare Fälle. Fehlender Zuspruch in staatlichen Krankenhäusern dürfte nicht darunter fallen.
Kuschmierz ist Lehrerin und Humanistin. Beruflich konnte sie beides verbinden. Viele Jahre unterrichtete sie humanistische Lebenskunde in Berlin, ein Wahlfach, das es hier ab der ersten Klasse alternativ zum Religionsunterricht gibt. Statt von Adam und Eva hat sie Geschichten von Dinos und Darwin erzählt. Evolutionsgeschichte für Kinder. Die wissenschaftliche Erklärung der Welt, eine selbstbestimmte Haltung zum Leben, ist wichtig für Humanisten. Inzwischen koordiniert die 52-Jährige die Ausbildung neuer Lehrer durch den Humanistischen Verband (HVD).
»Nicht-religiösen Menschen wird in Deutschland Anerkennung vorenthalten«, kritisiert HVD-Präsident Frieder Otto Wolf. Nach Flugzeugabstürzen finden öffentliche Trauerfeiern statt - selbstverständlich in einer Kirche, staatliche Feiertage folgen dem christlichen Kalender, Staatsverträge werden mit Kirchen geschlossen, seit Kurzem auch mit Muslimen und Aleviten, nicht aber mit konfessionsfreien Verbänden. Formal haben alle gleiche Rechte, real könnten nichtreligiöse Menschen diese aber nicht gleichberechtigt wahrnehmen. »Gläserne Wände« hinderten sie darin, formuliert es ein Bericht, den der HVD an diesem Donnerstag in Berlin vorstellt. Es ist ein Bericht, wie er ihn sich von staatlicher Seite wünschen würde: Sämtliche Baustellen werden darin nacheinander abgehandelt - vom Bildungssystem über den Arbeitsmarkt, die Medien bis hin zu Strafvorschriften und Kirchensteuer, »die Wurzel vielen Übels«. Am Ende stehen Lösungsvorschläge.
»Besonders deutlich sind die Nachteile auf dem Arbeitsmarkt und in der Schule zu sehen«, sagt HVD-Mitarbeiter Arik Platzek, der den Bericht mit verfasst hat. Im Gesundheits- und Sozialbereich sind Kirchen vielerorts die einzigen, die Einrichtungen anbieten. »Sie haben ein Quasi-Monopol.« Konfessionslose stellt das vor Probleme. Denn dort arbeiten dürfen nur Kirchenmitglieder, obwohl die Einrichtungen öffentlich finanziert sind durch die Beitrags- und Steuerzahler. Platzek hält das für inakzeptabel. Es gebe viele Akteure im Sozialbereich, Arbeiterwohlfahrt, Sozialverband, private Elterninitiativen, aber nur die Kirchen dürfen eigene Regeln aufstellen und bestimmte Bewerber ausschließen. »Die Diakonie soll ja gar keinen Atheisten als Chef einstellen«, sagt er. Aber unterhalb der Leitungsebene gehe der »Tendenzschutz«, mit dem der Ausschluss begründet wird, zu weit.
Auch für Patienten kann der fehlende Pluralismus in der Krankenhauslandschaft fatale Folgen haben. Für Aufsehen sorgte zuletzt der Fall einer jungen Frau, die nach einer vermuteten Vergewaltigung von zwei katholischen Kliniken abgewiesen wurde. Sie lehnten ihre Untersuchung ab, weil dabei eine Beratung über einen möglichen Schwangerschaftsabbruch und die »Pille danach« hätte erfolgen müssen. Im Nachhinein hieß es, dass die Ablehnung einer »missverstandenen« kirchlichen Dienstauffassung entsprungen sei. Der Vorfall machte jedoch Grundsätzliches deutlich: Nicht- oder andersgläubige Patienten bekommen in solchen Einrichtungen nicht den vollen Leistungsumfang. Wo sie die Wahl haben, mag diese Einschränkung vertretbar sein. Der HVD fordert jedoch, religiös motivierte Einschränkungen in Kliniken zu unterbinden oder die Zahl von Kliniken in christlicher Trägerschaft deutlich zu verringern.
Das Nachsehen haben Konfessionslose auch in Schulen: »Außerhalb von Berlin gibt es eine Alternative zum Religionsunterricht allenfalls in höheren Klassenstufen«, sagt Arik Platzek. Der Verband unterstützt Eltern, die konfessionsfreie Angebote einklagen wollen, sieht die Chancen nach den bisherigen Erfahrungen jedoch nüchtern: Zum Teil dauerten die Prozesse so lange, dass die Kinder längst dem Grundschulalter entwachsen waren. »Und dann heißt es: Das Problem ist nicht mehr relevant. Abgeschmettert«, kommentiert Platzek sarkastisch.
Auch in den Medien kommen nichtreligiöse Lebensentwürfe aus Sicht des HVD zu kurz, bei Themenauswahl, Blickwinkel, Gesprächspartnern. »Warum wird über Konfirmationen berichtet, aber nicht über die Jugendfeiern des HVD?«, kritisiert Platzek. An ihren Feiern zur Lebenswende nehmen in Berlin und Brandenburg jedes Jahr über 6000 Jugendliche teil. Andernorts wüssten viele Menschen gar nicht, dass es diese Alternative gibt. Eine andere Besetzung der Rundfunkräte könnte eine Lösung sein, aber dort ist für viele Platz, nicht aber für Vertreter konfessionsloser Verbände.
Für eine säkulare Organisation ist der Ansatz des HVD ungewöhnlich, der Religionsunterricht oder kirchlicher Trägerschaft gar nicht abschaffen will. Statt der vollständigen Trennung von Staat und Kirche wünscht sich der Verband viel mehr die gleiche staatliche Unterstützung wie er für Religionsgemeinschaften in Deutschland Tradition ist. »Wir gehen einen Mittelweg«, sagt HVD-Chef Wolf. Er plädiert für einen »kooperativen Laizismus«, wie er in den Niederlanden und Belgien praktiziert werde. »Wir wollen Religionen nicht aus der Öffentlichkeit und staatlichen Einrichtungen verdrängen, aber wir erwarten, dass andere Weltanschauungen gleichberechtigt einbezogen werden.« Religion als reine Privatsache hält Wolf für anfällig für Fundamentalismen oder verdeckte Einflussnahme. Die USA und Frankreich seien dafür warnende Beispiele.
Der Ansatz ist in der säkularen Bewegungen umstritten. Wolf begegnet Einwänden jedoch mit einer knappen Formel: »Wir wollen nicht die Gleichbehandlung im Privileg, sondern dort, wo es sich um legitime Anliegen handelt.« Eindeutige Privilegien oder Verletzungen der weltanschaulichen Neutralität wie der Kirchensteuereinzug auf Staatswegen, die Gottesbezüge in Verfassungen oder Kruzifixe in Gerichtsgebäuden sollen fallen.
Der Verband unterhält etliche soziale Einrichtungen, schult humanistische Berater und würde seine Angebote ausbauen, wenn er mehr Förderung dafür bekäme. Sein Problem: Finanzielle Zuwendungen wie auch Repräsentanz in Gremien orientieren sich oft an Mitgliederzahlen. Und da schneiden Verbände wie der HVD nicht besonders gut ab: Rund 25 000 Mitglieder hat er bundesweit, fast die Hälfte davon in Berlin. Ihre Benachteiligung, so könnte man daraus schließen, scheint nichtreligiösen Menschen nicht so dringlich zu sein, dass sie sich dafür organisieren.
Wolf lässt das nicht gelten: Die Kriterien für öffentliche Förderung seien nicht neutral, sondern »kirchenförmig«. Für Kirchen ist es leicht, über Mitgliederzahlen Ansprüche geltend zu machen, weil sie durch spezifische Rituale wie die Taufe auf hohe Zahlen kommen. Andere Weltanschauungen, selbst andere Religionen kennen diese Formen nicht, was auch für Muslime in Deutschland lange Zeit ein Problem darstellte, als es um politische Berücksichtigung ging. Entscheidender für die Einschätzung der Relevanz sollte daher der Anteil bestimmter Gruppen in der Bevölkerung sein, fordert der HVD.
Der Verband ist misstrauisch gegenüber der Politik und daher auch skeptisch, ob die Antidiskriminierungsstelle die Diskriminierung nichtreligiöser Menschen angemessen dokumentiert. Er ermuntert deshalb Betroffene, sich erst beim Bund und dann bei ihm zu melden. Damit sie nicht unter den Tisch fallen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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