Falsche Versprechen zugunsten der Banken
Als der IWF im Jahr 2010 entschied, sich am griechischen Bailout-Programm zu beteiligen, wurden die Bedenken zahlreicher Direktoriumsmitglieder gezielt zerstreut, wie an die Öffentlichkeit gelangte Dokumente belegen
Seit mehr als fünf Jahren hängt Griechenland nun am Tropf der Gläubiger-Troika. Fast 250 Mrd. Euro so genannter Rettungskredite sind seither durch das Land geflossen. Neue Kredite wurden aufgenommen, um alte zu bedienen. Laut der griechischen Agentur für Schuldenmanagement wird das Land im Zeitraum von 2013 bis 2020 rund 15% seiner Wirtschaftsleistung für den Schuldendienst aufwenden müssen.
Im Juli 2015 wurde ein drittes Bailout-Programm beschlossen. So kommen weitere 86 Mrd. Euro in den Tropf. Und die Troika – oder besser Quadriga – da nun auch der ESM an den Kontrollen beteiligt wird – bleibt für weitere drei Jahre im Land.
Steffen Stierle ist Volkswirt mit Schwerpunkt Politische Ökonomie der Europäischen Integration und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag. Er engagiert sich zudem beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac in der Kampagne »TTIP in die Tonne« sowie gegen die neoliberale EU-Krisenpolitik.
Alexandros Moutzouridis ist ein Autor mit Fokus auf internationale und europäische Angelegenheiten. Er arbeitet an den Universitäten Athen und Panteion im Bereich der Kommunikationswissenschaft. Zuvor war er als Journalist und Redakteur in Griechenland und Belgien tätig.
Dieses dritte Programm wird ähnlich desaströs wirken wie die vorangegangenen. Das gilt vor allem, wenn es keine substanzielle Schuldenerleichterung und keine Stabilisierung der Einkommen gibt. In den fünf Programmjahren ist die private Nachfrage bereits um 23,9% und die öffentliche Nachfrage um 21,5% zurückgegangen. Die Wirtschaft ist um ein Viertel geschrumpft. Da auch im dritten Programm der Schwerpunkt auf Ausgabenkürzungen liegt, wird die griechische Ökonomie weiter in die Rezession treiben. Maßnahmen wie Mehrwertsteuererhöhungen und indirekte Rentenkürzungen werden die Abwärtsspirale aus sinkender Nachfrage, steigender Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsschrumpfung, sinkendem Steueraufkommen und steigender Verschuldung weiter anheizen.
Ernsthafte Vorbehalte im IWF-Direktorium
Dass Kürzungspolitik Krisen verschärft, sollte für niemanden überraschend sein: Deutschland hat diese Erfahrung am Vorabend der Nazidiktatur auf besonders bittere Weise gemacht. Seit den 1970er Jahren haben IWF und Weltbank mit derartigen Programmen zahlreiche Schuldenkrisen im globalen Süden auf die Spitze getrieben.
Entsprechend skeptisch war das IWF-Direktorium gegenüber dem Griechenland-Programm. So äußerte Rene Weber, der Schweizer IWF-Direktor bereits im Mai 2010 erhebliche Bedenken: »We have considerable doubts about the feasibility of the program […] We have doubts on the growth assumptions, which seem to be overly benign. Even a small negative deviation from the baseline growth projections would make the debt level unsustainable over the longer term«.
Zudem gab es heftige Kritik am Fehlen jeglicher Beteiligung privater Gläubiger an den Programmkosten. Zahlreiche Direktoren befürchteten, dass das Programm in einer riesigen Bankenrettung mündet. Paulo Nogueira Batista, der brasilianische IWF-Direktor fasste diese Bedenken so zusammen: »The risks of the program are immense […] As it stands, the program risks substituting private for official financing. In other and starker words, it may be seen not as a rescue of Greece, which will have to undergo a wrenching adjustment, but as a bailout of Greece’s private debt holders, mainly European financial institutions«. Die Direktoren aus Argentinien, Indien, Russland und anderen Ländern äußersten sich ähnlich.
Unverbindliche Versprechen des deutschen Finanzsektors
Warum wurde das Programm trotz der zahlreichen Vorbehalte und der historischen Erfahrungen vom IWF-Direktorium beschlossen? Offensichtlich ist, dass die Vertreter von Deutschland und anderen EU-Ländern ein großes Interesse an dem Programm hatten. Über ihre Motive lässt sich spekulieren.
Ein unbestreitbarer Faktor ist die Zinsersparnis, von der insbesondere Deutschland profitiert, seit es zu einer massiven Kapitalauswanderung aus Griechenland und den anderen Programmländern kommt. Die Anleger suchen in deutschen Anleihen einen sicheren Hafen und drücken das Zinsniveau nach unten. Im September 2012 gab der deutsche Versicherungsriese Allianz AG an, für Deutschland Zinsersparnisse in Höhe von 67 Milliarden Euro zu erwarten. Eine neue Studie des Halle Institut für Wirtschaftsforschung kommt sogar zu dem Ergebnis, dass Deutschland durch die Krise zwischen 2010 und 2015 rund 100 Milliarden Euro gespart hat.
Auch die Möglichkeit, an das Programm Privatisierungsprojekte zugunsten europäischer Käufer zu koppeln, wird in den Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Das Beispiel Fraport verdeutlicht dies: Maßgeblich auf deutschen Druck hin wird Griechenland genötigt, sämtliche lukrativen Regionalflughäfen an Fraport zu verscherbeln. Und Fraport wiederum liegt zu rund 70% in den Händen der Bundesrepublik Deutschland, des Landes Hessen und der Stadt Frankfurt/Main.
Zudem gab es sicherlich das Anliegen, eine offizielle Staatspleite mit schwer absehbaren Folgewirkungen zu verhindern.
Kein Zufall dürfte es allerdings auch sein, dass ausgerechnet die deutschen und französischen Banken den größten Anteil an griechischen Staatsanleihen hielten. Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Bank for International Settlement, BIS) waren die deutschen Finanzinstitute Anfang 2010 mit einem Kreditvolumen von fast 45 Milliarden US-$ in Griechenland engagiert (öffentlicher Sektor, Banken und privater Sektor). Wie RBC Capital Markets erläutert, zeigt diese Zahl nur einen Teil des gesamten Engagements. Der Anteil französischer Banken lag mit rund 75 Milliarden US-$ sogar noch höher.
Es ist offensichtlich, dass die Regierungen dieser beiden Länder darauf drängten, ihre Banken vor substantiellen Abschreibungen zu bewahren. Doch was brachte das IWF-Direktorium dazu, trotz der erheblichen Bedenken der deutsch-französischen Linie? Zumindest ein Teil der Antwort kann dem mittlerweile an die Öffentlichkeit gelangten Protokoll einer IWF-Sitzung vom 9. Mai 2010 entnommen werden. Darin ist zu lesen, dass die Vertreter der Niederlande, Deutschlands und Frankreichs angaben, die Zusagen ihrer Finanzsektoren zu haben, Griechenland zu unterstützen und ihr Volumen griechischer Anleihen aufrecht zu erhalten: »The Dutch, French, and German chairs conveyed to the Board the commitments of their commercials banks to support Greece and broadly maintain their exposures«. Mit dieser Ankündigung traten sie der Sorge entgegen, dass die privaten Banken gerettet werden, während die Steuerzahler die Schulden übernehmen.
Der Haken: Die Banken hatten lediglich unverbindliche Absichtserklärungen abgegeben, mit denen sie sich auf nichts festlegen. So hatten sie keine Konsequenzen zu fürchten, als sie die Zusagen gleich nach dem Programmstart wieder über Bord warfen.
In der entsprechenden Erklärung der deutschen Finanzwirtschaft vom 4. Mai 2010, die von 13 großen Geldhäusern unterzeichnet wurde, heißt es, dass die deutsche Finanzwirtschaft »nach aller Möglichkeit bestehende Kreditlinien gegenüber der Hellenischen Republik und griechischen Banken und [das] Anleihevolumen gegenüber der Hellenischen Republik für die Laufzeit des Programms [3 Jahre, Anm.] aufrechterhalten« will. Diese Erklärung war nicht einmal das Papier wert, auf dem sie stand. Allein zwischen Mai und Dezember 2010 hat die deutsche Finanzwirtschaft rund ein Drittel (von 13,1 auf 9,85 Mrd. Euro) ihrer griechischen Staatsanleihen abgestoßen. Bis Anfang 2012 – dem Vorabend des Schuldenschnittes – ist das Volumen sogar auf 2,8 Mrd. Euro zusammen geschrumpft. Sprich: Innerhalb der ersten 1,5 von drei Jahren, für die die Selbstverpflichtungserklärung galt, haben die deutschen Banken 78,6% ihrer griechischen Anleihen abgestoßen.
Den IWF ins Programm geködert
Das gebrochene Versprechen der deutschen und französischen Banken, ihr Anleihevolumen zu halten, war nicht bloß ein politisches Manöver um die Sorge zu zerstreuen, dass das Programm auf eine Bankenrettung hinausläuft. Die beispiellose Krise der Eurozone hat die stärksten Länder der EU selbst an den Verhandlungstisch mit der IWF-Administration gebracht, insbesondere mit dem damaligen Chef der Institution, Dominique Strauss-Kahn (DSK). Im Zusammenhang mit diesen Verhandlungen lieferte der Washingtoner Journalist Michalis Ignatiou in seinem Buch über die griechische Krise wichtige Enthüllungen. Seinen Nachforschungen zufolge erreichte DSK »from Ms Merkel and Mr Trichet [the former president of the ECB] that the German banks would not get rid of their Greek bonds, so that he [DSK] would be able to ‘sell’ it [the programme] to the board members, for whom he was sure they would revolt against the high cost of the ‘bailout’. He had done the same deal with the President of France«, Nicolas Sarkozy. Das war die Bedingung, die DSK gegenüber Merkel und Sarkozy formulierte, damit er nicht auf eine Umschuldung besteht, um die Schulden nachhaltig zu gestalten, wie es die IWF-Regeln eigentlich erfordern.
Da eine Umschuldung für die Gläubiger immer Verluste bedeutet, wären Deutschland und Frankreich womöglich in die Situation geraten, ihre Banken direkte mit öffentlichen Geldern zu rekapitalisieren. Das wäre politisch problematisch gewesen: »The German and French banks, heavily exposed to the Greek sovereign bonds, would have asked from their governments for immediate recapitalisation, something that was politically unacceptable«.
Hinzu kommt, dass ein massiver Ausverkauf griechischer Anleihen einen tiefen Preissturz verursacht und sie der Spekulation ausgeliefert hätte. Tatsächlich fiel der Preis 10-jähriger Staatsanleihen laut griechischer Zentralbank von 88,32 Euro im Mai 2010 auf 34,85 Euro im Januar 2012, dem Vorabend des Schuldenschnitts.
Der Schuldenschnitt 2012
Vor diesem Hintergrund erscheint der Schuldenschnitt von 2012 mit dem die privaten Gläubiger an den Kosten der Griechenland-Krise beteiligt werden sollten als Farce. Immer wieder heißt es, dass die Gläubiger auf 53,5% ihrer Forderungen an Griechenland verzichtet hätten. Dass die deutschen Banken sich zu diesem Zeitpunkt bereits von knapp 80% ihrer griechischen Anleihen entledigt hatten, bleibt meist unerwähnt.
Die französischen und niederländischen Banken haben sich nicht anders verhalten. Zusammengenommen haben die Finanzsektoren dieser drei Länder von Mitte 2010 bis Anfang 2012 rund die Hälfte ihrer Griechenland-Anleihen abgestoßen.
Dieses Verhalten der Banken muss man kritisieren. Andererseits ist schlecht beraten, wer auf die moralische Integrität großer Finanzinstitute setzt. Wenn das Bundesfinanzministerium selbst verlautbart, dass der Beitrag des Finanzsektors »freiwillig [erfolgte] und sowohl die eigentliche Selbstverpflichtung als auch deren Umsetzung […] in der Verantwortung der betroffenen Kreditinstitute [liegen]«, muss die Bundesregierung realistischer Weise davon ausgegangen sein, dass die Banken ihre Zusage brechen, sofern es ihren kurzfristigen Profitinteressen dient.
Es kam wie es kommen musste: Aus der Griechenlandrettung wurde eine Bankenrettung. Hielten private Gläubiger im Mai 2010 noch 94% der griechischen Anleihen, waren es Ende 2012 nur noch 11,5%. Die Banken sind also fein raus. Den Bärenanteil haben die anderen Euroländer über bilaterale Kredite, IWF-Anteile, die Zentralbank sowie Garantien für EFSF-Kredite übernommen. Das Risiko liegt somit bei Mitgliedsstaaten – und damit bei den Steuerzahlern.
Zugleich wurde die griechische Wirtschaft systematisch in den Abgrund getrieben. Der dramatische Wertverfall griechischer Anleihen war nur der Anfang einer Reihe von Schadensfällen für Griechenland, die teilweise durch das falsche Versprechen verursacht wurden: Zum Beispiel (1) der Schaden des griechischen Bankensystems und anderer Anleihebesitzer (Institutionen, Privatpersonen), der zu weiteren Rekapitalisierungskosten für die griechischen Steuerzahler führte; (2) der Zwang für Griechenland, neue Kredite aufzunehmen, die den Haushalt durch weiteren Zinszahlungen belasten; (3) die steigenden Kreditkosten und der erschwerte Marktzugang für den griechischen Staat; (4) der Wertverfall griechischen Staatsvermögens, der zu niedrigeren Einnahmen bei potenziellen Privatisierungsprojekte führte und (5) die Schäden durch die Auslösung von Kreditausfallversicherungen (credit default swaps, CDS).
So tragen die deutschen und französischen Banken eine wichtige Teilschuld an der dramatischen Entwicklung in Griechenland. Doch auch die politische Verantwortung von Institutionen wie der Europäischen Zentralbank (EZB) und der EU-Kommission sollte untersucht werden. Im Februar 2014 hat der EP-Abgeordnete Antolín Sánchez Presdedo (S&D) die wichtige Frage an die Kommission formuliert, wie »the drastic reduction of exposure to Greek debt by the banks […] contributed to exacerbating the crisis«. Die Kommission hat eine substanzielle Antwort vermieden.
Zuletzt sollte daran erinnert werden, dass »the European Central Bank shall, in accordance with the general principles common to the laws of the Member States, make good any damage caused by it or by its servants in the performance of their duties«, while »Jurisdiction shall also be reserved to the Court of Justice in the actions referred to in the same Articles when they are brought by an institution of the Union against an act of or failure to act by the European Parliament, the Council, both those institutions acting jointly, or the Commission, or brought by an institution of the Union against an act of or failure to act by the European Central Bank«.
Angesichts dessen, dass viele EU-Institutionen wie die EZB bei der Aufgabe, den Verfall der griechischen Wirtschaft zu verhindern, vollständig versagt haben, ist es kaum überraschend, dass gerade ein weiteres Programm auf der Linie der vorherigen beschlossen wurde. Dieses Programm wird nichts daran ändern, dass eine vollständige Schuldenrückzahlung vollkommen unrealistisch ist.
Die deutsche Bundesregierung trägt nicht zuletzt aufgrund ihrer Rolle bei den IWF-Verhandlungen eine Teilverantwortung für diese weitreichende Umverteilung zulasten der europäischen Steuerzahler und zugunsten der Banken sowie die katastrophale Lage in Griechenland.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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