Weiße Kreuze im Stop-and-go

«Marschierer für das Leben» kamen trotz rabiater Polizeihilfe nicht recht voran

  • Simon Brost
  • Lesedauer: 3 Min.
Viele trugen weiße Holzkreuze auf ihrem «Marsch für das Leben» am Sonnabend in Berlin. Ihr «religiöser Fundamentalismus» veranlasste viele Menschen zu Blockaden und Gegendemonstrationen.

Zunächst sah es so aus, als würde der jährliche «Marsch für das Leben» in Berlin am Samstagnachmittag ohne größere Zwischenfälle vom Bundeskanzleramt zum Abschlussgottesdienstes vor dem Berliner Dom ziehen. Etwa 5000 Anhänger der so genannten «Lebensschutz»-Bewegung aus dem ganzen Bundesgebiet und angrenzenden Ländern waren dem Aufruf des «Bundesverband Lebensrecht (BvL)» gefolgt, um für ein Verbot aller Schwangerschaftsabbrüche zu demonstrieren. Ob Abtreibung, Sterbehilfe oder Präimplantationsdiagnostik - die Lebensschützer sehen ein Vergehen gegen ungeborenes Leben oder gar an der Schöpfung. Im Vorfeld hatten sich die Veranstalter über «starken Zuspruch aus Kirchen und Politik» gefreut. Katholische Bischöfe hatten Grußworte an die Teilnehmer gerichtet und nahmen teilweise auch an dem «Marsch» teil.

Viel Lob fand sich auch in der Botschaft, die der Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke nach Berlin gesandt hatte. Seine Parteifreundin, die Berliner Europaabgeordnete Beatrix von Storch, durfte dann gemeinsam mit dem Lebensschützer-Vorsitzenden Martin Lohmann den Zug der weißen Holzkreuze anführen.

Doch nicht alle Grußworte dürften den Erwartungen der Organisatoren entsprochen haben. Der Grüne Volker Beck hatte deutliche Kritik an der Veranstaltung geübt. Eine Diskussion über eine Verschärfung des Abtreibungsrechts und Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen seien ein Irrweg, schrieb Beck. Die Demonstration betreibe Antifeminismus und Homophobie, verpackt unter dem Deckmäntelchen der «traditionellen Familie», hielt der innen- und religionspolitische Sprecher seiner Fraktion im Bundestag den Veranstaltern vor.

Dass sich am Ende aber die Polizei des Schutzes der Lebensschützer annahm, dafür sorgten die Proteste von bis zu 2500 Menschen, die zwei Protestbündnisse mobilisieren konnten. Am Ende waren rund 900 Beamte eingesetzt. Immer wieder, wenn die Polizei unter teilweise massiver Gewaltanwendung eine Blockade auf der Berliner Straße Unter den Linden aufgelöst hatte, formierte sich einige Meter weiter eine nächste. Der «Marsch» der radikalen Abtreibungsgegner kam über zwei Stunden immer wieder zum Stehen. Zu den Blockaden aufgerufen hatte das linksradikale «What the Fuck»-Bündnis aus antifaschistischen, autonomen und feministischen Gruppen. Auch wenn sich die «LebensschützerInnen» oft als harmlose Gläubige darstellten, verfolgten sie letztlich eine reaktionäre gesellschaftspolitische Agenda, hatte das Bündnis seinen Protest begründet. Zeitgleich mit dem Beginn der Auftaktkundgebung des «Marsches für das Leben» vor dem Bundeskanzleramt war zudem am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg eine feministische Gegendemonstration gestartet. Mit bunten Schildern, Pop-Musik und Parolen wie «Hinter dem Sexismus steht der Kardinal, der Kampf um Befreiung ist antiklerikal», zogen die nach Veranstalterangaben 2000 Teilnehmer zum Gendarmenmarkt in Mitte. Dort trafen sie mit der zweiten Gegendemonstration zusammen, die zuvor am Brandenburger Tor begonnen hatte. Die vom «Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung» organisierte Demonstration, an der sich nach Polizeiangaben knapp 500 Menschen beteiligten, wurde von Parteien wie der LINKEN und den Grünen, dem Humanistischen Verband, dem Lesben- und Schwulenverband und der Beratungsstelle Pro Familia getragen. Auch mehrere Bundestagsabgeordnete und Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses hatten sich hinter die Forderungen des Bündnisses gestellt. Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller (SPD) mahnte in seinem Grußwort: «Eine freiheitliche Gesellschaft darf niemanden bevormunden.»

Mit großer Verspätung erreichten die Abtreibungsgegner den Berliner Dom. Doch auch der vom Veranstalter verkürzte Abschlussgottesdienst blieb nicht ungestört. Vom Dach des Doms ließen Aktivistinnen der Gruppe «Femen» ein Banner mit der Aufschrift «Thank God I Can abort (Danke Gott, dass ich abtreiben darf) herunter. Sarah Bach, Sprecherin des »What the Fuck«-Bündnisse, zeigte sich »super zufrieden« mit dem Tag. Kritik übte sie am »äußerst gewalttätigen« Polizeieinsatz. So seien 60 Gegendemonstranten eingekesselt worden, sie hätten Anzeigen wegen Landfriedensbruchs erhalten. Teilnehmer berichten von mehreren Verletzen. Mindestens 28 Gegendemonstranten wurden in Gewahrsam genommen.

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