Umgang mit Schutzsuchenden spaltet Ost und West

Politische Krise des Umgangs mit Flüchtlingen offenbart neue Brüche in Europäischer Union: »tiefer als die Eurokrise«

  • Danny Kemp
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach der Spaltung zwischen Nord- und Südeuropa in der Schuldenkrise hat die Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen neue Brüche in der Europäischen Union offenbart. Der Gründervater des vereinten Europas, Jean Monnet, schrieb in seinen Memoiren einst: »Europa wird in Krisen geschmiedet, und es wird die Summe der Lösungen sein, die für diese Krisen ersonnen wurden.« Doch in der Flüchtlingskrise zeigt sich der Staatenbund tief gespalten. Eine gemeinsame Lösung, um den Riss zu heilen, ist nicht in Sicht - und erste Rufe nach Reformen werden laut.

»Dies bedroht das Herz Europas und den Kern des europäischen Projekts«, sagt der Vorsitzende der liberalen Fraktion im Europaparlament, Guy Verhofstadt, der Nachrichtenagentur AFP. Der frühere belgische Ministerpräsident warnt, die Krise der Politik im Umgang mit den Flüchtlingen sei »tiefer als die Eurokrise«. Dabei trifft der Andrang zehntausender Flüchtlinge erneut dieselben Länder im Süden Europas, die bereits am schwersten von der Schuldenkrise betroffen waren. Diesmal geht es aber nicht um die Unterstützung des Nordens, sondern um die Solidarität der Osteuropäer.

Angesichts des großen Andrangs aus Krisenländern wie Irak, Syrien, Afghanistan und Eritrea agieren die EU-Länder bisher höchst uneinheitlich und wenig solidarisch. Während Deutschland besonders Syrer großzügig aufnimmt, setzt Ungarn auf Abschreckung und riegelt seine Grenzen ab. Griechenland lässt Flüchtlinge weitgehend ungehindert nach Norden weiterreisen, und auch andere Länder agieren nach dem Prinzip: »Hauptsache, es trifft die anderen.« Dänemark und Großbritannien klinkten sich in Fragen der Migration ohnehin aus der EU aus.

Viele Regierungen sehen sich bedrängt von rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien, die ein härteres Vorgehen in der Asylpolitik und die Abriegelung der Grenzen fordern. Mehrere Staaten führten wieder Grenzkontrollen ein - und setzten damit die Freizügigkeit im Schengenraum vorläufig außer Kraft. Der Traum eines Kontinents ohne Grenzen scheint in Gefahr. »Krise kommt auf Krise, die Integrität der EU - wenn man Griechenland oder Schengen betrachtet - ist unter Druck«, sagt Janis Emmanoulidis vom Europa Policy Centre in Brüssel.

Bei dem Sondertreffen der EU-Innenminister am Dienstag verweigerten Tschechien, Rumänien, die Slowakei und Ungarn eine gemeinsame Regelung zur Verteilung von 120.000 Flüchtlingen aus den stärksten betroffenen Staaten. Obwohl Ungarn davon profitieren würde, lehnt die dortige rechte Regierung von Viktor Orban die Vereinbarung als unzulässigen Eingriff in die nationale Souveränität ab. So wurde die Verteilung letztlich per Mehrheitsvotum gegen den Widerstand der vier Osteuropäer beschlossen.

Raoul Ruparel vom Londoner Politikinstitut Open Europe sagt, »das Zusammenkommen sehr ernster existentieller Krisen« erfordere eine dringende Reform der EU. Alle Länder zu einer Lösung zu zwingen, habe schon in der Schuldenkrise nicht funktioniert. Die Blockade der Politik und die Spaltung der Mitglieder sei eine »toxische Kombination«. Verhofstadt will in der Krise aber auch eine Chance erkennen: »Ich denke, es ist ein echter Test - doch ist es auch eine Gelegenheit, einen Sprung nach vorn zu machen.« AFP/nd

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