Nichts gegen Kafka
Bundeswehrflüchtling, Postzusteller, Kabarettist: Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Bov Bjerg
nd: Sie sind jetzt 49 Jahre alt. Ihr Werdegang als Künstler ist ungewöhnlich: Student, Postangestellter, Lesebühnenautor, Satire-Redakteur, Leipziger Literaturinstitut, Kabarettist, Schriftsteller.
Bjerg: Ich fand es immer interessant, alles mögliche auszuprobieren. Manche Sachen haben mir Spaß gemacht und waren irgendwann so einträglich, dass ich sie gern weitergemacht habe. Die Art Kabarett, die ich mache, kommt ja aus der Lesebühnentradition, und ich fand es immer interessant, für das Vorlesen zu schreiben.
Ihr Romandebüt »Deadline« ging im Betrieb unter. Bei Ihrem zweiten Roman, »Auerhaus«, tobt jetzt plötzlich die Presse. Wie erklären Sie sich das?
»Deadline« war für den Durchschnittsleser unlesbar. In einem Literaturbetrieb, wo schon ein Semikolon zu viel dich als zweiten Arno Schmidt brandmarkt, war »Deadline« unverkäuflich. Das ist bei »Auerhaus« anders. Es ist leichter zugänglich. In »Auerhaus« ziehen ein paar Jugendliche zusammen, weil einer versucht hat, sich das Leben zu nehmen, und sie passen auf den auf. Sie leben zusammen, machen dann ihr Abitur und gehen wieder getrennte Wege. Die Message ist für mich, dass man ein Leben nicht danach beurteilen sollte, wie es ausgeht, sondern danach, was jemand unter bestimmten Umständen gemacht hat. Lange bevor der Roman fertig war, hieß er »Axtroman«. Nach einer Weile habe ich ihm den halb scherzhaften, halb ernst gemeinten Untertitel »Depression und Revolte« gegeben (lacht). Das kam mir dann aber doch zu 80er-Jahre-haft vor. Es klingt ein bisschen wie eine Zeitschrift von Thomas Meinecke.
Bov Bjergs Roman »Auerhaus« handelt von einigen Jugendlichen, die in den 80er Jahren eine Wohngemeinschaft auf dem Dorf gründen und ihr eigenes Leben beginnen: »Was sie wollen, wissen sie nicht. Vielleicht eine Pause von der Welt, in der sie wollen sollen, was sie werden müssen.« (»Die Welt«)
Der Roman ist soeben im Blumenbar-Verlag erschienen. Derzeit wird das Buch in sämtlichen Medien bejubelt: »Spiegel Online« nennt es »zauberschön«, die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« »wunderschön«, und Deutschlandradio Kultur spricht von einem »Roman, in dem man wohnen möchte«.
Am 30. September um 20.30 Uhr findet in der »Kunstfabrik Schlot« im Prenzlauer Berg die offizielle Buchpremiere von »Auerhaus« in Berlin statt. Bjerg wird aus seinem Roman lesen, wobei er musikalisch unterstützt wird von dem Schauspieler und Musiker Robert Stadlober, der auch das Hörbuch eingelesen hat, und Andreas Spechtl, dem Sänger und Gitarrist der Band Ja, Panik.
Gestern erschien obendrein Bjergs Geschichtensammlung »Ohne Brille kann ich rechts und links nicht unterscheiden«, eine Art »Best-of-Bov-Bjerg«-Anthologie, die allerdings nur als E-Book erhältlich ist.
Die hieß »Mode und Verzweiflung«.
Ja, genau, so hieß die.
Sie waren Ende der 80er Jahre Mitgründer der ersten Berliner Lesebühnen, »Dr. Seltsams Frühschoppen«, »Reformbühne Heim und Welt«. Aber eigentlich waren Sie Student, oder?
Ich habe 1984 in Berlin angefangen zu studieren, mit großem Unbehagen. Abgebrochen habe ich Anfang der 90er. Ich musste viel arbeiten und bin nicht richtig zum Studieren gekommen. Und dann gab es auch noch diesen grandiosen Uni-Streik 1988, wo ich mich das erste Mal an der Uni zu Hause gefühlt und ein paar Leute kennengelernt habe, denen es genau so ging wie mir. Wir haben dann zusammen die Zeitschrift »Salbader« gegründet, ein satirisches Blättchen, in dem wir unsere Sachen abgedruckt haben. Wir hatten alle einen ähnlichen sozialen Hintergrund: Bildungsaufsteiger, die ersten in der Familie, die Abitur gemacht haben, die ersten, die an die Uni gegangen sind. Schon deshalb haben wir uns fremd gefühlt in diesem Akademikerkinder-Umfeld. Da war dieser Streik für uns natürlich eine Gelegenheit, etwas anderes zu machen. Wir haben dann auch alle abgebrochen.
Sie wollten gern Texte schreiben und sie vor Publikum vorlesen?
Ja, dann haben wir mit dem Vorlesen angefangen, erst an der Uni, während des Streiks. Wir hatten alle vorher irgendwie für die Schublade geschrieben. Und dann hat sich das verselbstständigt. Die erste Lesebühne war allerdings die »Höhnende Wochenschau« in Westberlin. Die nannten sich damals »Sprechzeitung«. Da haben wir gesagt: »So was machen wir auch.« Du stellst dich in einer Kneipe in die Ecke und machst deinen Scheiß. Immer am gleichen Ort, am gleichen Wochentag, zur gleichen Uhrzeit, jede Woche. Dann kannst du dir die ganze Reklame sparen. Es ist so wenig Aufwand. Es geht von einem Tag auf den anderen.
So entstand »Dr. Seltsams Frühschoppen«.
Ja, ein paar Germanisten, eine Clique, die angefangen hat, sich über die Funktionäre lustig zu machen, die sich gerade in so einem Uni-Streik ruckzuck herausbilden. Wir haben dann »Goldmedaillen« verteilt an besonders verdiente Schwafler, die das große Wort geschwungen haben bei Versammlungen. So fing das an, 1988, aus der Streik-Opposition.
Warum haben Sie mit dem Lesebühnenkram aufgehört?
Mich hat es irgendwann nicht mehr interessiert, jede Woche was Neues zu schreiben. Der Zwang, in Richtung Comedy oder Kabarett zu gehen mit den Texten, war mir zu groß. Ich wollte das nicht mehr.
Sie waren auch am Literaturinstitut Leipzig. Wie kam es dazu?
Ein Gedanke war tatsächlich: Mann, jetzt bist du bald Mitte 30. Und hast dein Studium abgebrochen. Guck doch mal, ob du nicht doch noch etwas Richtiges studierst. Mit der Idee, es abzuschließen. Ich habe dann aber sofort das große Gähnen gekriegt, als ich die Veranstaltungsverzeichnisse im Internet gesehen habe. Da dachte ich, das wird genau so ein Desaster wie der erste Anlauf. Brecht rauf und runter, und Kafka hin und her. Wobei: Nichts gegen Kafka. Und dann habe ich zufällig erfahren, dass es so etwas wie das Literaturinstitut überhaupt gibt. Und ich dachte: großartig.
Warum?
Es ging ums Schreiben, es war praxisorientiert. Also dachte ich: Das versuchst du jetzt. Und wenn das dann am Ende nur so ein Jodel-Diplom vom Literaturinstitut ist. Das wollte ich wenigstens haben. Und habe mich beworben und bin genommen worden. Ein Seminar mit Haslinger oder Treichel zu machen! In meinem ersten Semester war es Thomas Hürlimann, bei dem ich ein Dramatik-Seminar gemacht habe. Das ist natürlich toll.
2002 bekamen Sie den Deutschen Kabarettpreis, 2004 den MDR-Literaturpreis. Normalerweise werden solche Preisempfänger durch den kompletten deutschen Medienbetrieb geschleust. Die sitzen dann im Fernsehen, bis sie berühmt oder halbberühmt sind. Bei Ihnen ist das nicht so gewesen.
Nö. Ist auch heute noch nicht so. Ich habe dazu auch nicht den Ehrgeiz. Ich mache auch ungern immer wieder das Gleiche. Ich glaube, ein guter Weg, dauerhaften Erfolg zu haben, ist, sich selber zur Marke zu machen. Indem du immer wieder Sachen variierst, die sich ähnlich sind und woran die Leute dich erkennen. Und das hat mich nie interessiert.
»Schauleser und Blogger? Das sind doch keine Berufe! Wovon lebt der eigentlich?«, würde man in der schwäbischen Provinz fragen, wo Sie ursprünglich herkommen,.
Denen kann man sagen: »Er schreibt Geschichten, die er auf der Bühne vorliest, und die Leute zahlen dafür Geld.« Dann verstehen sie es. Aber dass das keine Arbeit im eigentlichen Sinne ist - diese Haltung kenne ich natürlich, die steckt auch tief in mir: Dass es ja alles letztlich Tinnef ist, was du da als Künstler treibst. Vor einer Weile habe ich mich Harald Schmidt sehr nahe gefühlt, der aus Nürtingen kommt, aus ähnlichen sozialen Umständen wie ich, sagen wir mal: nicht so bildungsnah. Seine Mutter ist, glaube ich, Putzfrau oder so was. Und in einem Gespräch mit so einem Typen im Fernsehen sagt er zu dem: »Ich habe ja in meinem Leben nicht gearbeitet, ich habe ja noch nie im Leben gearbeitet.« Und er meinte das in dem Moment völlig ernst. Da musste ich sehr lachen. Da sprach natürlich seine Herkunft aus ihm, die dieses Sich-auf-die-Bühne-stellen-und-Quatsch-erzählen natürlich nicht als Arbeit sieht.
Sie sind Jahrgang 1965. In den 80ern sind Sie nach Westberlin gegangen. Warum?
Ich bin vor der Bundeswehr abgehauen. Ich bin früh von zuhause ausgezogen und nach Berlin gegangen, nach dem Abitur. Ich war damals sehr friedensbewegt, richtig mit Blockieren und Festgenommenwerden und Verknacktwerden. Ich bin dann auf die Totalverweigerer aufmerksam geworden, die gesagt haben: Die Wehrpflicht als solche ist falsch, Zwangsdienst und Unrecht, und wer seinen Zivildienst erfüllt, ist letztlich auch dem Wehrpflichtgesetz unterworfen und akzeptiert diesen ganzen Dreck. Ich war drauf und dran, total zu verweigern. Da war ich 17, 18 Jahre alt. Ich bin von der Polizei abgeholt und zwangsgemustert worden. Aber ich musste mir irgendwann eingestehen, dass Totalverweigerung für mich zu heftig ist. Die Leute sind zum Teil zwölf Monate oder zwei Jahre ins Gefängnis gegangen und waren über Jahre mit den Prozessen beschäftigt. Ich hatte irgendwann das Gefühl: Das packe ich nicht. Dazu bin ich dann doch zu wenig Überzeugungstäter.
Das kann einen ja krank machen.
Natürlich. Es sind auch Leute gebrochen worden. Einige mussten, weil sie nicht zu dieser Scheißbundeswehr gehen wollten, ewig in den Knast. Ich bin nach Berlin gegangen.
Mit der Absicht, da zu studieren?
Ja. Ich wollte anfangs, vor und nach dem Abi, immer irgendwas mit Journalismus machen. Und der Chef von der schwäbischen Lokalzeitung sagte zu mir: »Na, jetzt studieren Sie erst mal, und dann können Sie bei uns ein Praktikum machen, dann sehen wir weiter.« Ich bin nach Berlin gegangen und habe angefangen, Germanistik und Politik zu studieren. Doch nach den vier Wochen Praktikum bei der schwäbischen Lokalzeitung habe ich gemerkt, dass ich dafür nicht der richtige Typ bin.
Woran merkten Sie das?
Das war halt die Lokalredaktion und das, was es dort zu machen gibt - vom Wetterkästchen jeden Morgen bis zum Gemeinderat. Ich bin nicht effizient genug, um in so einem Job zu arbeiten. Wenn es um Texte geht, kann ich nicht einfach einen Job abliefern. Das fällt mir wahnsinnig schwer. Bei mir ufert alles zu einer halben Promotion aus. Für alles brauche ich wahnsinnig viel Zeit. Ich war schon in der Grundschule sehr pedantisch - ganz schlimm. Alle in der Redaktion gucken dich dann an, als ob du nicht ganz dicht wärst. In meinem Praktikumszeugnis stand eine Wendung, die mir klar gemacht hat, dass es nicht der richtige Job ist. Da hieß es: »konnte sich nach und nach immer besser einbringen«. Das hieß: Der ist der totale Lahmarsch und kommt nicht aus dem Knick mit seinen Texten.
Woher dieser Perfektionismus?
Es hat vielleicht damit zu tun, dass ich immer die Angst habe, aufzufliegen. Eine Variante des Hochstapler-Syndroms. Leute, die irgendwas können, aber dann doch immer Angst haben, irgendwann lüftet jemand das Geheimnis und weist alle darauf hin, dass sie in Wirklichkeit die totalen Nieten sind und Nichtsnutze. Ich glaube, das hat mit der Herkunft zu tun. Wenn du dich in Milieus bewegst, die du von deiner sozialen Herkunft her überhaupt nicht gewöhnt bist, die dir völlig fremd sind, dann kannst du da noch so gut sein, du hast immer das Gefühl, du gehörst da eigentlich nicht hin. Und irgendwann schmiert dir jemand das aufs Brot.
Sie waren Mitte der 90er Jahre auch mal eine Zeit lang Redakteur des ostdeutschen Humorblatts »Eulenspiegel«. Wie kam es dazu?
Ich habe gelegentlich für die Zeitschrift geschrieben und kannte die damaligen Redakteure. Irgendwann wollten die Chefs vermutlich, dass da was Neues passiert. Auch das hing letztlich mit der Geschichte der Lesebühnen zusammen, die relativ populär waren. Und irgendwann haben die Chefs mich gefragt, ob ich nicht als fester Redakteur arbeiten wolle. Ich habe Ja gesagt und war ein Jahr als fester Freier auf einer halben Stelle. Ich fand das sehr reizvoll. Ich bin zwar nie Journalist geworden, aber ein Blatt zu machen, das hat mich immer gereizt. Von der Schülerzeitung über den »Salbader« bis zum »Eulenspiegel«. Ich finde das auch heute noch. Ich glaube, wenn du in der richtigen Redaktion bist, dann ist zusammen eine Satirezeitschrift zu machen einer der schönsten Jobs, die überhaupt denkbar sind. Aber irgendwann war dann der Frust über die Chefs so groß, dass ich aufgehört habe.
Sie haben viel von dem vermieden, was ein ordentliches Nine-to-Five-Arbeitsleben ausmacht, oder?
Ich glaube, wenn ich an bestimmten Punkten die Gelegenheit gehabt hätte, hätte ich es anders gemacht. Aber wenn du so lange als Freier Zeug machst wie ich, bist du irgendwann nicht mehr fähig, so einen Job zu machen. Abgesehen davon, dass dich niemand einstellen würde. Du kannst dich in die Hierarchien nicht mehr so einfügen. Immer wieder dachte ich in den letzten Jahren: Scheiße, du kommst auf keinen grünen Zweig, du musst dir irgendetwas überlegen. Aber es gab nichts, was infrage gekommen wäre. Heute gibt es ja Jobs, die es vor 20, 30 Jahren noch gab, gar nicht mehr. Ich habe jahrelang, bis in die 90er Jahre, halbtags bei der Post gearbeitet, erst im Frühdienst, bei der Postfachausgabe, dann als Zusteller, und dort fürstliches Geld verdient aus heutiger Sicht. 1400 Mark für 20 Stunden. Das ist heute anders. Ich sehe mit großer Sympathie, aber auch mit Bedauern die Leute, die heute dort meine Kollegen wären. Den Zusteller etwa, der bei uns Zeug vorbeibringt, das man sich im Internet bestellt. Bei dem, was früher die Post war, hat der Arbeitsdruck extrem zugenommen, und die Löhne sind nicht mehr so wie früher. Und die totale Arschkarte hast du dann bei Hermes und sonstwo gezogen. Furchtbar! Die versuchen zum Teil, dir abends um halb Zehn noch irgendwas zuzustellen, weil sie nach Zustellung bezahlt werden. Totale Katastrophe, totale Schweinerei.
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