Wer erfand das Subharchord?
In der Akademie der Künste fand das »neue« internationale Festival »Kontakte« für elektroakustische Musik statt
Über mehrere Dinge ist in kurzen Strichen zu reden. Über eine Ansprache, sodann über die Herkunft der »Kontakte«, weiter über einen Film, verbunden mit einer Erfindung, und schließlich über das Abschlusskonzert des internationalen Festivals, das die Akademie der Künste (AdK) am Wochenende erfolgreich durchführte.
Zunächst zum Festival selbst. »International« ist heute eigentlich alles. Keine Kunst- oder Musikveranstaltung, in der nicht Menschen aus nahen und fernen Ländern auftreten würden, mit oder ohne deutschen Pass. Analoges ist für das Publikum festzustellen. Eine schöne Selbstverständlichkeit. Ausnahmen bestätigen die Regel. Deutsche allein kamen ganz unnationalistisch zum Zuge im Schlusskonzert des Festivals »Kontakte«: Dieter Schnebel, Boris Blacher, Georg Katzer die eine Hälfte, die andere Karlheinz Stockhausen. Auch die Musiker sind in dem Fall Deutsche. Einer der beiden Klangregisseure desgleichen. Ausnahme: der zweite, Gregorio Garciá Karman, Spanier, er kommt vom Experimentalstudio des Südwest-Rundfunks und ist seit 2014 Leiter des Studios für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste Berlin.
Ein ehrgeiziger, gebildeter Mann, der verändern will und mit dem Festival den ersten größeren Erfolg verbuchen konnte. Mit etlichen Partner hat er vornehmlich das dreitägige »Kontakte«-Festival konzipiert und in den Räumen der AdK am Hanseatenweg, wo auch das neu eingerichtete elektronische Studio seinen Ort hat, durchgeführt. Auf dem Plan: Konzerte, Klanginstallationen, Performances, Filmvorführungen, Diskussionen (auch geschichtliche Diskurse), Workshops. Erstaunlich die Breite der Präsentation zum Auftakt dieser »Neuheit«. Klagen über Publikumsmangel? Keineswegs.
Nun zu den Dingen. Erstens: Ansprache vor dem Schlusskonzert. Die hielt jene allseits geschätzte Nele Hertling, einundachtzigjährig, welche einst zuständig war für die Belange von Musik und Darstellender Kunst in der Akademie der Künste West. Hertling rekurrierte auf die Anfänge elektronischer Musik an diesem Ort während der 60er Jahre, akzentuierte Initiativen des Komponisten und späteren Präsidenten der AdK West Boris Blacher (der in jener Zeit auch Mitglied der DDR-Akademie geworden war), nannte Mitstreiter Blachers wie Hans-Heinz Stuckenschmidt, beschrieb die ersten Konzerte, Kurse, Kongresse, die Gründung und Entwicklung eines Studio in Kooperation mit dem Elektronik-Studio der TU Berlin etc. Ein rundum plastisches Bild. Hertling erwähnte auch das Studio der Ost-Akademie, das Georg Katzer Anfang der 80er Jahre gegründet hatte. Mit einem Satz.
Zweitens: Zur Herkunft der »Kontakte«. »Kontakte«, als Neuheit angepriesen, gab es seit 1980 Jahren der Akademie der Künste der DDR, angebunden an das im Aufbau befindliche Studio für Elektroakustische Musik. Eine Reihe mit innovativer, experimenteller, elektroakustischer Musik, so ungewöhnlich in Form, Struktur, Inhalt und so spannend in ihren Reflexen auf die Zeit, dass sie Scharen von Publikum anzog, namentlich jüngeres, unverbrauchtes. Spielort war zumeist der Saal der Akademie in der Hermann-Matern-Straße, dem früheren Sitz der Volkskammer. Georg Katzer plante die Reihe mit etwa fünf Konzerten pro Saison zusammen mit dem Musikwissenschaftler und Akademie-Mitarbeiter Manfred Machlitt, der überdies die Konzerte organisierte.
Machlitt rief damals Karlheinz Stockhausen, den Schöpfer des Werkes »Kontakte«, an, um sich die Verwendung des Titels bestätigen zu lassen. Der hatte nichts dagegen. Nach der Wende kam mit dem Kesselhaus der Kulturbrauerei eine weitere Spielstätte hinzu. Undergroundkünstler des Prenzlauer Bergs wie Peter Wawerzinek und Bert Wrede beteiligten sich fortan. Bis 1991 existierten die »Kontakte«, ehe der Geldhahn zugedreht wurde und etliche Akademie-Mitarbeiter in die Warteschleife kamen. Eine aufsehenerregende Initiative seinerzeit. Gregorio Karman und Genossen, mit »Kontakte« auf den Sprossen der Karriereleiter, verlieren kein Wort darüber.
Drittens: Ein Film, verbunden mit einer Erfindung. Es geht um den einstündigen Streifen »Subharchord« der Deutsch-Norwegerin Ina Pillat, den »Kontakte« in einer Rohfassung anbot. Zentral darin ist Gerhard Steinke, jener Mann, der seit den 60er Jahren das »Labor für musikalisch-akustische Grenzprobleme« geleitete hatte, wo das Mixturgerät zur Generierung elektronischer Klänge fortentwickelt wurde. Eine sympathische, weltgewandte, technisch absolut beschlagene Figur, der eine beachtliche Initiative zuzuschreiben ist, nämlich die Anfänge künstlerischer Produktion in diesem Studio nachhaltig befördert zu haben. Genuine Leistung von Post (der die technischen Belange unterstanden) und Rundfunk der DDR. Der Film (auch das Programmheft) rühmt Gerhard Steinke als den Erfinder des Subharchords. Er selbst sich kurioserweise auch.
Das ist bedauerlich, um nicht zu sagen unredlich. Gerhard Steinke hat nicht wegzudenkende Verdienste der Fortentwicklung und künstlerischen Indienststellung des Geräts, dessen Erfinder aber ist er nicht. In allen Patentschriften, welche die Entwicklung des Subharchords und darauf bezogene Vorarbeiten betreffen, ist Ernst Schreiber als Erfinder und zugleich Inhaber benannt. Auch in frühen internen Publikationen des RFZ-Studios, sagen Kenner, sei Schreiber klar als Erfinder auszumachen. In einer Mitteilung sagt es Steinke selbst: »Die Entwicklung des Mixturgerätes durch E. Schreiber, das wir 1961 Subharchord nannten, verlief schnell erfolgreich.«
Viertens: Abschlusskonzert. Mit Dieter Schnebels »Monotonien« kam zu Beginn ein 15-Minuten-Opus für Klavier und Live-Elektronik, das seinem Titel hundert Prozent gerecht wird. Ernst Surberg hatte am Klavier nichts Nennenswertes zu tun. Von Boris Blacher dann die »Multiplen Raumperspektiven« für Klavier und drei Klangerzeuger. Teils irre schnelle Läufe, durchbrochene Skalen, Bartóksche Repetitionsvorgänge, Akkordballungen, Cluster kehrten elektronisch verwandelt im Raum über quadrophone Lautsprecher zurück. Höhepunkte: Katzers »Dialog imaginär 2« für Klavier und Tonband und Stockhausens »Kontakte« für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, beide Klavierparts zuzüglich percussive Instrumente spielte Benjamin Kobler, am Schlagzeug Michael Pattmann. Zwei ausgereifte, absolut ausgehörte, die Sinne ergreifende Angebote, die einmal mehr klarmachten, um wie Vieles elektronische Klangmanipulationen Neue Musik reicher machen können.
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