Überrollt vom Wasserwerfer

Der Tod des Antifaschisten Günter Sare vor 30 Jahren wirkt bis heute nach

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 2 Min.

Dreißig Jahre danach wird in Frankfurt am Main ein Gedenkstein in den Boden eingelassen: »An dieser Stelle wurde Günther am 26.9.1985 von einem Wasserwerfer der Polizei überfahren. Er bezahlte seinen Protest gegen eine Versammlung der NPD im Haus Gallus mit seinen Leben.« Diese Inschrift ist nun an der Kreuzung Frankenallee/Hufnagelstraße im Gallusviertel zu lesen. Freunde und Bekannte haben dafür gesorgt.

Bis heute bewegt der Tod des Maschinenschlossers und Mitarbeiters eines Jugendzentrums die Linke in der Stadt. 300 Menschen beteiligten sich an seinem Todestag an einer Gedenkdemonstration. 100 Menschen kamen zu einer Veranstaltung, bei der Zeitzeugen von der politischen Situation Mitte der 80er Jahre erzählten. Dabei spielte der Veranstaltungsort eine zentrale Rolle. Das Haus Gallus wurde kurz nach der Eröffnung weltbekannt. Schließlich fand dort von April 1964 bis August 1965 der Auschwitzprozess statt. Daher war es für Antifaschisten eine besondere Provokation, dass in den gleichen Räumlichkeiten am 26. September 1985 eine Versammlung der NPD stattfinden sollte. Vergeblich hatten Organisationen von den Behörden das Verbot der Neonaziveranstaltung am Ort der Auschwitzprozesse gefordert.

Ein antifaschistisches Bündnis veranstaltete in der Nachbarschaft ein multikulturelles Fest. Als die ersten Nazis eintreffen fliegen Flaschen, Böller und Beutel mit Buttersäure. Die Polizei geht mit Knüppel und Wasserwerfer gegen die Antifaschisten vor. Augenzeugen beobachten, wie gegen 21 Uhr zwei Wasserkanonen auf den 36-Jährigen schießen und er zu Boden stürzt. Ein weiterer Wasserwerfer beschleunigt und überrollt den Mann. Erst 20 Minuten später trifft ein Notarztwagen ein. Sare stirbt noch auf dem Weg ins Krankenhaus.

Viele Aktivisten sprechen bis heute von Mord. Ein Wasserwerfer habe gezielt Jagd auf Sare gemacht. In den folgenden Tagen gingen in der gesamten BRD Tausende Menschen auf die Straße. An vielen Orten kam es zu heftigen Krawallen. Die Wut der Linken war deshalb so groß, weil die Polizei auch nach Sares Tod massiv gegen die NPD-Gegner vorging und auch Menschen nicht verschonte, die Erste Hilfe leisteten. Die Kluft zwischen der außerparlamentarischen Linken und den Grünen, die sich damals in Hessen auf die bundesweit erste Regierungsbeteiligung vorbereiteten, wurde nach Sares Tod unüberbrückbar.

Die Demonstranten erinnerten am Wochenende in Frankfurt auch an weitere Tote: So zogen sie an dem Jobcenter vorbei, in dem 2011 Christy Schwundeck nach einem Streit mit einer Sachbearbeiterin durch eine Polizeikugel starb. Genau wie bei Sare blieb ihr Tod ohne strafrechtliche Konsequenzen.

Auch auf dem Friedhof wird ein schlichter Stein mit der Aufschrift »No Pasaran« weiterhin an den Antifaschisten erinnern. Der Freundeskreis Günter Sare hat genug Spenden eingeworben, damit das Grab auch nach 30 Jahren erhalten bleibt.

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