Verbesserungen nur in homöopathischen Dosen
Berliner Kitabündnis ruft, während das Parlament noch über den Haushalt debattiert, zu Protestaktion auf
Die Verwechslungsgefahr haben die Initiatoren des Berliner Kitabündnisses einkalkuliert. Am kommenden Mittwoch werden Hunderte Kinder zum berlinweiten Kitaaktionstag auf die Straßen gehen. Die Kitagruppen sollen orange leuchten: Egal, ob mit Luftballons, T-Shirts, Plakaten oder Spielzeug. »Nein, das ist keine Kooperationsveranstaltung mit der BSR«, versichert Roland Kern, Sprecher des Dachverbandes Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS).
Aufgerufen zu dem Aktionstag hat das Berliner Kitabündnis, der Hintergrund ist ein ernster. Momentan berät das Abgeordnetenhaus über den Haushaltsentwurf des Senats für den Doppelhaushalt 2016/17 und gerade im Kitabereich sprechen Vertreter des Bündnisses von einer eher »homöopathischen Dosis«, die die Etataufstockung bedeutet. Im Entwurf sind über 600 neue ErzieherInnenstellen für beide Jahre aufgelistet sowie 23,6 Millionen Euro für 2016 und noch einmal 16,6 Millionen Euro für 2017 vorgesehen, um 10 000 zusätzliche Betreuungsplätze zu schaffen. Insbesondere Kitas mit einem hohen Anteil an Kindern, deren Muttersprache nicht deutsch ist, sollen von der Personalaufstockung profitieren. »Die Verbesserungen werden in der Praxis kaum spürbar sein«, sagt Christa Preissing vom Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung. Schon heute sei der vom Senat kalkulierte Betreuungsschlüssel in der Realität nicht einzuhalten, ganz zu schweigen von dem, was Studien als optimal ausgeben. Momentan liegt der Betreuungsschlüssel in Berliner Kitas bei einer Erzieherin (meist sind es Frauen), die für fünf Kinder zuständig ist. Bei Kindern von zwei bis drei Jahren liegt der Schlüssel bei 1:6. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung geht davon aus, dass eine Relation von 1:3 angemessen wäre. Das entspräche einem Stellenzuwachs von 7500 PädagogInnen. Das Kitabündnis rechnet nun vor: Zieht man die Zeiten für Dokumentationstätigkeiten, Schreibtischarbeit, Krankheit und Urlaub ab, bleibt in der Krippe für Kinder zwischen null und drei Jahren eine Erzieherin für durchschnittlich 5,9 Kinder übrig. Das Kitabündnis fordert daher, angelehnt an die Ergebnisse der Bertelsmannstudie, 1700 neue ErzieherInnen. »In den Haushaltsverhandlungen muss mehr passieren«, sagt Bernd Schwarz vom Landeselternausschuss. »Deshalb gehen wir auf die Straße.« Eine Herausforderung bleibt, das zusätzliche Personal auch zu finden. »Den Fachkräftemangel gibt es auch im Kitabereich«, sagt Roland Kern. Gefährlich sei, betont Doreen Siebernik, Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW Berlin, dass viele ErzieherInnen schon nach sieben oder zehn Jahren im Beruf aussteigen. »Die Belastungsfaktoren für ErzieherInnen sind so hoch, dass sie am Ende um die eigene Gesundheit fürchten.«
Ein Schwerpunkt für die Berliner Kitas werden in den kommenden Monaten aber geflüchtete Kinder sein, die einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz haben. Aber nur 30 Prozent der unter Fünfjährigen besuchen überhaupt eine Kita, dabei machen sie fast die Hälfte der minderjährigen Flüchtlingskinder aus. »Hier brauchen wir dringend personelle Unterstützung«, sagt Martin Hoyer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Momentan würden viele Angebote, die eigentlich selbstverständlich wären, von Ehrenamtlichen getragen.
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