Punkmusik im Stasiknast

Die Jugendbewegung wurde in der DDR schikaniert und kriminalisiert. Zerschlagen werden konnte sie nicht

  • Anke Engelmann
  • Lesedauer: 4 Min.
In der DDR Punk zu sein, war nichts für Feiglinge, die Stasi stand immer bereit. Shanghai Drenger erzählt jetzt in seinem Buch »Minol-Pirols«, wie eine Clique von Punks das letzte Jahr der DDR er- und überlebte.

Laut musste sie sein und wütend - Punk in der DDR war vor allem Musik. Und die konnte jeder machen: Drei Akkorde auf der Gitarre und ein wildes Schlagzeug reichten, die Texte wurden mehr gebrüllt als gesungen, reichlich floss der Alkohol. Die Namen der Bands klangen wie reine Provokationen: Wutanfall (später L’Attentat), Schleimkeim, Paranoia, Rosa Extra, Spermakombo und Die Firma (so nannte der Volksmund die Staatssicherheit). Sie traten fast ausschließlich im Untergrund auf, bei kirchlichen Veranstaltungen oder bei Partys. Für öffentliche Auftritte wäre eine Einstufung vom Komitee für Unterhaltungskunst nötig gewesen. Viele lehnten das ab.

Begonnen hatte die Bewegung Ende der 70er Jahre in Berlin, Leipzig und Weimar. Anders als in den Ursprungsländern Großbritannien und den USA trieb nicht die No-Future-Perspektivlosigkeit die Jugendlichen an, wie sie die britischen Sex Pistols artikuliert hatten. Vielmehr rebellierten sie gegen einen Überstaat und vorgezeichnete Lebenswege, gegen die Enge und den Mief der kleinbürgerlichen DDR. In einigen Cliquen spielte Anarchismus eine Rolle, wie er von Erich Mühsam oder Michael Bakunin propagiert worden war.

»Anarchistisches Gedankengut und asoziale Lebensweise«, so sah das die Staatssicherheit. Die »negativ-dekadenten Jugendlichen«, wie sie in deren Jargon hießen, wurden ständig angehalten, die Personalien kontrolliert oder »zur Klärung eines Sachverhaltes« zugeführt. Hausdurchsuchungen, Schikanen auf dem Arbeitsplatz gehörten zum Alltag, ebenso Platzverweise und Stadtverbote. 1984 führte die Staatssicherheit 900 Punks in ihren Registern, 400 davon aus der Hauptstadt.

Ausgrenzung, Verfolgung, fehlende Freiräume politisierten die Cliquen. Wer eigentlich nur Musik machen wollte, fand keine Auftrittsmöglichkeiten oder Proberäume, erinnert sich Shanghai Drenger, einer der damaligen Protagonisten. Viele Punkbands kamen so zur Kirche. Die Offene Jugendarbeit (mit großem O) nahm die Ausgegrenzten auf, ohne zu missionieren. Die Gruppen bereicherten einander, die Szene wurde heterogener, Punk schwappte in die Umwelt- und Menschenrechtsinitiativen, die sich unter dem Dach der Kirche trafen, in die Ateliers junger bildender und schreibender Künstler - und wieder zurück.

1983 gab Erich Mielke, Chef der Staatssicherheit, den Befehl, die Bewegung zu zerschlagen. Massive Repression begann, von 17 Bands wurden sechs aufgelöst und, wie zum Beispiel zwei Musiker von L’Attentat, ins Gefängnis gesteckt. Viele bekamen die Einberufung zur Armee, viele verließen die DDR in einer ersten Ausreisewelle.

Andere blieben. Jetzt erst recht, sagten sich zum Beispiel die Magdeburger Punks, zu denen Shanghai Drenger gehörte. Er sei, wie so viele, über die Musik zum Punk gekommen, erzählt der 48-Jährige. Ihre Band »Vitamin A« probte zunächst in einem Altersheim, dann bekam man »richtige« Instrumente und musste neue Räume suchen.

Bis auch Drenger und der Gitarrist von Vitamin A in den Knast einfuhren. 1986 war das, in Magdeburg fanden Arbeiterfestspiele statt, die Punks hatten Stadtverbot. Statt sich unsichtbar zu machen, verschickten die beiden Einladungsschreiben an ihre Freunde. Bloß dass die Briefe nicht bei den Empfängern ankamen, sondern bei der Staatssicherheit. Zwei Jahre und zehn bzw. drei Monate lauteten die Urteile, »richtig dicke Pakete«, so Shanghai. Die Kirchenleitung setzte sich für sie ein, »nach einem Jahr waren wir wieder draußen«.

Schreiben hat Drenger am Leipziger Literaturinstitut gelernt, wo er 2000 sein Diplom machte. Für ihn ist Punk »Lebenseinstellung und Herzenssache«, eine Verpflichtung, »nicht einfach nur Stimmvieh zu sein, sondern sein Leben selber in die Hand zu nehmen«.

Das wollen auch seine Helden Benny, Dirk, Jaschka, Feurio, Eckard, Paula und Sabine in seinem Roman »Minol-Pirols«. Sie besetzen ein Hinterhaus und richten sich dort ein, finden bei der kirchlichen Jugendarbeit Unterstützung und einen Proberaum, erleben Verhaftungen, Ausreisewelle und die Gewalt des Wendeherbstes. Drenger erzählt mit Witz und mit viel Sympathie für seine Helden. Eine Zeitreise, die berührt.

Und doch, etwas fehlt. Alle verstehen sich supergut, Party ist angesagt, Musik machen, verliebt sein, saufen. Konflikte kommen von außen: Eltern, Staatsmacht, Stasi, Dirks »irgendwie unsympathische« Freundin, die in den Westen will. Verdächtigungen oder Ausreisepläne trüben das Miteinander nur kurz, jede Störung wird sehr erwachsen geklärt. 25 Jahre danach ist das zu flach. Auch auf der richtigen Seite gibt es Profilneurosen, auch die Guten sind manchmal schwierig.

Trotzdem, Spaß macht das Buch. Und die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben selbst. Zum Beispiel diese: Weil nach der Wende der Magdeburger Stasiknast wieder zum Gefängnis werden sollte, haben Bürgerrechtler wie Drenger es besetzt und ein Jugendzentrum draus gemacht. So kam es, dass vier Jahre später Anti X, die Nachfolgeband von Vitamin A, im früheren Stasiknast aufspielte. »Das war das coolste Stück meines Leben«, sagt Drenger.

Shanghai Drenger: Minol-Pirols. Leben und nicht leben lassen. Klak Verlag 2015, 182 Seiten, 12,90 Euro.

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