Energiewende jetzt unterirdisch
Koalition will Stromnetz mit Erdkabeltrassen ausbauen - und den Widerstand der Bevölkerung vergraben
Horst Seehofer ist zwar nicht Mitglied des Bundeskabinetts, doch Bayerns CSU-Ministerpräsident stand Pate bei einem Gesetzentwurf, den die schwarz-rote Runde am Mittwoch in Berlin beschloss: Demnach soll beim weiteren Ausbau der geplanten neuen Nord-Süd-Starkstromtrassen durch Deutschland künftig vorrangig auf Erdkabel gesetzt werden. »Ich glaube, das ist eine richtige Entscheidung - ich sage epochal«, rief Seehofer aus dem fernen Ingolstadt zu. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), aus dessen Haus der Gesetzentwurf stammt, ergänzte: »Jetzt ist der Weg frei für den dringend notwendigen Ausbau der Stromnetze. Und den brauchen wir, um die Energiewende zum Erfolg zu führen.«
Seehofer steht seit Monaten unter dem Druck von Bürgerinitiativen in seinem Bundesland, die aus Naturschutzgründen gegen neue Starkstromtrassen von den Küsten in die süddeutschen Industriezentren protestieren. Der Ausbau kommt daher nur äußerst schleppend voran - mit 487 Kilometern ist bei den 2009 als vordringlich eingestuften 24 Leitungsprojekten erst ein Viertel der Gesamtstrecke gebaut worden. Und laut dem jüngsten Netzentwicklungsplan der Bundesnetzagentur sollen bis zum Jahr 2024 in Deutschland insgesamt sogar 2750 Kilometer Stromtrassen neu entstehen sowie 3050 Kilometer »optimiert« werden. Seehofer hatte zeitweilig heftig gegen die 75 Meter hohen »Monstertrassen« gewettert, für die Netzbetreiber für 30 Jahre Renditen von fünf bis zu neun Prozent kassieren könnten. Bei einem Treffen im Sommer verabredeten die Koalitionsspitzen den Vorrang für Erdkabel, um damit für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen und den Widerstand der Bevölkerung zu vergraben.
Allerdings wird der Bau der Trassen dadurch erheblich teurer: Nach Berechnungen aus dem Hause Gabriel dürften die zusätzlichen Kosten zwischen drei und acht Milliarden Euro liegen. Das müssen die Stromkunden über die Netzentgelte bezahlen, wobei für kommendes Jahr auch mit einer steigenden Ökostromumlage gerechnet wird. Seehofer hält die Extrakosten für vertretbar: »Das sollten uns die Menschen und die Natur wert sein.«
Kritik kam von den Grünen. »Vom CSU-Populisten und Energiewende-Irrlicht Seehofer getrieben, schafft es Gabriel nicht, angepasste Lösungen für Konflikte beim Netzausbau zu finden«, sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. Die Festlegung des Bundes komme um Jahre zu spät: »Die Möglichkeit zur Erdverkabelung von Anfang an und bei allen Übertragungsleitungen hätte uns viele Konflikte, Millionenkosten und Zeitverzögerungen erspart.«
Umweltverbände halten hingegen die Ausbaupläne generell für überdimensioniert - egal, ob nun ober- oder unterirdisch gebaut wird. Die Energiewende müsse mit einer stärkeren Dezentralisierung des Stromsystems einhergehen, so ihre Meinung.
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