Beschränkte Aussagekraft
Jürgen Amendt über den Wert von Hochschulstatistiken
1960 zählten die Universitäten in der Bundesrepublik knapp 300 000 Studierende. Schon damals gab es Stimmen, die vor einer Überfüllung der Hörsäle warnten. Im vergangenen Semester waren rund 2,7 Millionen Menschen an deutschen Hochschulen und Universitäten eingeschrieben. Allein die Zahl der Erstsemester betrug ca. 500 000 Studierende.
Die Entwicklung ist nicht verwunderlich. Immer mehr werden Bildungsgänge, die ursprünglich im Berufsbildungssystem angesiedelt waren, an die Hochschulen verlagert. Die Kultusministerkonferenz (KMK) warnte deshalb im vergangenen Jahr vor Kapazitätsgrenzen. Bis zum Ende des Jahrzehnts werden jährlich weitere 500 000 Studierende an die Hochschulen drängen, so die KMK. Allerdings hatte die KMK damit auch eingestanden, fünf Jahre zuvor mit der eigenen Prognose daneben gelegen zu haben. 2009 gingen die Minister noch davon aus, dass bis 2020 die Zahl der Erstsemester auf rund 375 000 sinken werde.
Man sieht: Prognosen werden gerade im Hochschulsektor immer wieder von der Wirklichkeit überholt. 2014 hat deshalb das private Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie den staatlichen Angaben widersprochen und die Zahl der zu erwartenden Neustudenten deutlich nach unten korrigiert. Bis 2025, so die Forscher, werde die Zahl der Studienanfänger auf rund 400 000 sinken.
Aber auch diese Zahl ist, wie wir seit Anfang dieser Woche wissen, ein Wert, der die aktuelle Entwicklung nicht mehr abbildet. Hochschulexperten gehen davon aus, dass durch den Zuzug von Flüchtlingen allein in diesem Jahr 50 000 zusätzliche Studierende zu erwarten sind. Die KMK lag mit ihrer Prognose von 2009 also doch nicht ganz daneben, wenn auch eher zufällig.
Dass mehr Studienplätze benötigt werden, ergibt sich aber weniger aus der Statistik denn aus dem Umbau des Hochschulsystems. Anders als noch 1960 sind Universitäten nicht mehr ausschließlich Orte akademischer Elitenbildung. Die Unis im Jahr 2015 sind Ausbildungsstätten - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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