Popen und Priester
Martin Leidenfrost besichtigte den Streit zwischen orthodoxen Christen und Griechisch-Katholiken in Transkarpatien
Pope rammt Priester Kreuz in Rücken, in Messe stürmender Pope verflucht Priester, Gläubige prügeln sich vor Kirche: Im westukrainischen Transkarpatien, vom ostukrainischen Sezessionskrieg weitestmöglich entfernt, ist seit Jahren Religionskrieg. Während im großen Rest der Ukraine orthodoxe Christen des Moskauer und des Kiewer Patriarchats aufeinander schießen, raufen in Transkarpatien Orthodoxe des Moskauer Patriarchats und Griechisch-Katholiken. Auch wenn sich die Liturgien kaum unterscheiden, lautet der geopolitische Subtext Rom gegen Moskau. Historisch hat jede Seite hübsche Argumente: 1646 wurden die hiesigen Orthodoxen dem Papst unterstellt. 1949 zwang Stalin die Griechisch-Katholiken unter das Moskauer Patriarchat. 1991 wieder halb retour.
Der Hotspot ist das Dörflein Irlawa. Ein Gericht sprach »den Griechen« die Kirche zu, »die Orthodoxen« haben aber noch den Schlüssel, die Messen werden von der Polizei geregelt. Und nun auch noch das: Vor den Gartentoren griechisch-katholischer Familien wurden kalte Molotow-Cocktails gefunden, mit Grabschleifen.
Ich suche den orthodoxen Popen, der Irlawa betreut. Er gehört dem Kloster in Ruske an, dessen Mönche von den Romtreuen als »Pädophile, Alkoholiker und Knackis« charakterisiert werden. Ich stoße nebenan auf eine Straßensperre reifer Dörflerinnen, die gegen die unbezahlbaren Gasrechnungen demonstrieren. Ein leutseliger Ruske-Mönch lümmelt auf seinem güldenen Motorrad und spottet: »Wenige Omas, Baloga zahlt schlecht.« Unverständlich finde ich nur, dass die Omas vor laufender Kamera den Kreisrat anschreien, einen Anhänger des Oligarchen Baloga. Ich kriege Irlawas Popen ans Telefon. »Die Molotow-Cocktails sind eine Provokation, die Unseren würden das nie machen«, zetert Väterchen Wassilij im transkarpatischen Dialekt. »DIE haben die Kirchentür eingetreten!« Ich will ihn zu einem Treffen überreden: »Ich bin zwar katholisch, habe aber höchste Achtung vor den Orthodoxen.« Irlawas Pope keift mich an: »Achtung reicht nicht, Büßen ist angesagt!«
Ich fahre nach Irlawa. Nach ein paar Minuten bin ich von drei Dutzend Dörflern umringt. Ein bleicher Suffkopf steigt mich an: »Ich weiß genau, wer dich schickt.« Da ich mich stets selber schicke, fahre ich ihm resolut übers Maul. Vor dem dem Gemeindeamt wollen alle orthodox bleiben: »Zuzügler aus der Stadt werden uns nicht kommandieren«, »die wollen sich die Kirche privatisieren«, »ihr Pfarrer hat gedroht, dass er von uns tausend Dollar für ein Grab verlangt.« Sie geben sich überzeugt, gar nicht Moskau zu unterstehen. Das kann ehrlich gemeint sein, denn Kirchenbänke und Gebetsbücher wurden nicht ausgetauscht und die Fürbitte für den Moskauer Patriarchen lassen ukrainische Popen in diesen Zeiten lieber aus. »Die behaupten, dass wir für Putin beten. Dabei sind wir genauso für die Ukraine.« Ich frage sie nach dem Weg. »Die Griechen, das sind nur drei Familien. Sie erkennen ihre Häuser von selbst.«
Aufgeladen mit Misstrauen fahre ich runter über die kurze Brücke, deren Sprengung auch schon angedroht wurde. Das Rentnerpaar, das die Molotow-Cocktails anzeigte, empfängt mich dankbar. Die Frau, eine studierte Heimkehrerin, nennt die Orthodoxen einen »schmarotzenden Organismus«. Mir fällt der sinistre Blick ihres schweigsamen Mannes auf. Wie aus dem Nichts fällt plötzlich Väterchen Jewgenij zur Tür herein, der Irlawa seit diesem Jahr zugewiesene Priester aus Domboki. Über vier Stunden lässt der kernige Recke niemanden zu Wort kommen. Sein Redefluss kommt nie über 1998 hinaus, als Irlawas griechisch-katholische Episode endete. Schließlich gibt er zu, dass seine Kirche Irlawa 1998 aufgab, dass sich der Pfarrer nicht mehr blicken ließ. »Ich weiß selbst nicht, warum. Ich mache in der Sache selbst Interviews.« Zwischen all dem Geschimpfe auf die »graue Masse« der Orthodoxen gibt nun auch die studierte Heimkehrerin zu: »Wir haben sie verloren.«
Das wäre das Ergebnis meiner Ermittlung: Im geopolitisch uneindeutigen Transkarpatien befremden die griechisch-katholischen Priester mit ukrainischem Nationalismus - einer macht dem »Rechten Sektor« den Militärkaplan - , sie sind aber auch gebildeter als die orthodoxen Popen. Die verstehen dafür die Mentalität der Leute. Was die Molotow-Cocktails betrifft, so blickte ich in mehrere durchgeknallte Irlawer Augen. Meine Verdächtigen verteilen sich proportional zwischen Moskau und Rom.
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