Der Weltensammler ist zornig

Ilija Trojanow rechnet in seinem neuen Roman mit dem bulgarischen Realsozialismus ab

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 5 Min.
Metodi Popow ist jemand, dessen Widerwärtigkeit sich schwer in Worte fassen lässt. Aber weil es keinen Plot gibt, sich die Figuren nicht entwickeln, lässt Trojanow einen tiefen Blick in 
die Seele der Protagonisten zu.

Metodi Popow ist ein Mensch, dessen Widerwärtigkeit sich schwer in Worte fassen lässt. Nicht nur, dass er dem Komitee für Staatssicherheit in der Volksrepublik Bulgarien als Folterknecht gedient hat. Nicht nur, dass er sich schon zur Schulzeit als linientreuer Denunziant profilierte. Und nicht nur, dass er auch nach dem Ende des Realsozialismus sowjetischer Prägung noch immer in fürstlichem Wohlstand lebt, während die Bevölkerung im siegreichen Kapitalismus vor sich hin darben muss. Nein, in all seiner abstoßenden Bosheit, in seinem primitiven Ton, in seinem brutalen Charme ist dieser wüste Mensch einem unheimlicherweise fast sympathisch.

Wie er sich beim Rückblick permanent in Selbstgefälligkeit übt (»Das schlechte Gewissen, wirklich der falsche Berater«) und sich zwischen den Zeilen dann doch ständig schuldbewusst verteidigt (»Wenn du niemanden einbuchtest, kommt schnell der Verdacht auf, du verrichtest deine Arbeit nicht so, wie’s sich gehört«), darin offenbart sich die menschliche Seite dieser hässlichen Herrschaftsfratze. Das ist nicht selbstverständlich, denn Ilija Trojanow stellt in seinem neuen Roman »Macht und Widerstand« dem Bösewicht einen engelsgleichen Widerpart entgegen.

Konstantin Scheitanow war den größten Teil seines Lebens eingesperrt. Er rekapituliert seine anarchistische Überzeugung, die daraus resultierte Folter im Karzer - und den verzweifelten Versuch, nach dem Ende der Diktatur uneingeschränkten Zugang zu seinen geheimdienstlichen Akten zu erhalten. Es sind zwei Lebensläufe, wie sie unterschiedlicher nicht verlaufen konnten: Als Jugendlicher wurde Konstantin in den 50er Jahren als Antikommunist verurteilt. Jahre nach dem Umsturz des politischen Systems leidet er noch an den Folgen seiner zwei Dekaden hinter Gittern: Schlaflosigkeit und Panikattacken setzen ihm gesundheitlich zu, derweil er in ärmlichen Verhältnissen leben und oft genug »das Abendessen ausfallen« lassen muss, wenn er Akten fotokopieren will.

Abwechselnd schreibt Trojanow aus der Perspektive Konstantins und aus Metodis Sicht. Hin und wieder wirft er Schlaglichter jeweils auf ein Jahr zwischen 1950 und 2000, in dem Menschen von ihrem Alltag berichten. Mehrmals streut der Autor außerdem Auszüge aus Konstantins Akten in den Text ein. Vier Erzählebenen, die einem Zweck dienen: Ilija Trojanow möchte mit dieser Form »wichtige Themen am Desinteresse der Leute vorbeischmuggeln«, wie er bei der Buchvorstellung im Frankfurter Literaturhaus eingestand.

Hätte er darüber ein Sachbuch geschrieben, so seine Botschaft, es wäre wohl zum Ladenhüter verkommen, weil sich hierzulande wenige für Bulgarien interessieren. Trojanows 2006 publizierte kleine Bulgariengeschichte »Die fingierte Revolution« mag da ein ebenso guter Beweis sein wie die Tatsache, dass »Macht und Widerstand« auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis landete und sich seither gut verkauft.

Gerade weil es in diesem Roman keinen Plot gibt und die Figuren sich nicht entwickeln, lässt Trojanows Stil einen tiefen Blick in die Seele der beiden Protagonisten zu. Das liest sich bisweilen anstrengend, charakterisiert die Kontrahenten aber als Überzeugungstäter, die konsequent ihren Weg gehen. Konstantin hadert unablässig mit seinem Umfeld und ist auch dann noch unerschütterlich, wenn er in seinen Akten blättert: »Zwanzig Jahre Freiheitsentzug. Was für ein absurdes Wort. Sie können dich nicht dessen berauben, was die ganze Gesellschaft entbehrt.«

Ganz anders Metodi: Er scheint mit sich im Reinen, lebt nach wie vor in Saus und Braus. Stolz trägt er weiterhin den ihm einst ehrfurchtsvoll erteilten Kosenamen »Michelangelo des Verhörs«. Was er als solcher so alles getan hat, das lässt Trojanow seinen Schurken schonungslos schildern: »Ein Polizist haut ein rohes Ei auf seinen Hinterkopf, der Schuss geht vorbei, in die Wand, das flüssige Ei rinnt über seinen Hinterkopf, über seinen Nacken, er fällt zu Boden und schreit, alles will er uns sagen, alles.« Natürlich sind die Leben dieser beiden Hauptpersonen auch miteinander verknüpft: Der mächtige Metodi hat den widerständigen Konstantin bereits in gemeinsamen Schultagen regelmäßig verpfiffen. Konstantins Versuch einer umfassenden Aufarbeitung des geschehenen Unrechts nach dem Ende der Volksrepublik stößt ihm entsprechend bitter auf: »Heutzutage schiebt sich jeder den Stift in den Arsch und gibt seine hausgemachte Kacke als der Wahrheit letzter Schiss aus.«

Der gebürtige Bulgare Trojanow sieht in diesem knapp 500 Seiten umfassenden Wälzer sein Opus magnum. Er hat Zeitzeugen interviewt und Originaldokumente gesichtet, sodass es nicht verwundert, wie stark sein Roman als zornige Anklageschrift gegen die bis heute nicht wirklich erfolgte Aufarbeitung der schauderhaften bulgarischen Persiflage des Sozialismus erkennbar ist. So viel politisches Sendungsbewusstsein ist nicht gern gesehen im deutschen Großfeuilleton, das dieses Buch folgerichtig überwiegend verriss.

Etablierte sich Trojanow mit seinem allseits gefeierten Roman »Der Weltensammler« (2006) noch als smarter Schöngeist im Bücherbusiness und präsentierte er sich in seinem Reportageband »Die Versuchungen der Fremde« (2011) noch selbst als reisefreudiger Weltensammler, veröffentlichte er dazwischen zwei Sachbücher, in denen er sich kritisch mit den Auswüchsen des Überwachungsstaates und den rechtspopulistischen Kulturkämpfern auseinandersetzte. Den darin eingeübten Agitationsmodus hat er sich in seinem neuesten Werk erhalten.

Was den Schriftsteller wohltuend von allen freiheitsmahnenden Propagandisten der Alternativlosigkeit abhebt, ist seine Grundhaltung: Ilija Trojanow tadelt das präsente Vergangene nicht, wie etwa Gauck oder Biermann, um damit die Ausmaße des kapitalistischen Wahnsinns zu rechtfertigen. Der Literat packt zwar ebenfalls die alten Sozialistendarsteller am Schlafittchen, bleibt dabei aber in dem unnachgiebigen Glauben an sozialen Fortschritt seines letztlich nach dem furiosen Ende als gefühlter Sieger dastehenden Konstantin zugleich ein scharfer Kritiker des Jetzt - und macht gerade dadurch seine harsche Abrechnung mit dem bulgarischen Realsozialismus glaubwürdig.

Ilija Trojanow: Macht und Widerstand. Roman. S. Fischer, 480 S., geb., 24,99 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.