Thüringen enthält sich
Rot-Rot-Grün stimmt nicht für Asylrechtsverschärfung
Nach einer wochenlangen inner-rot-rot-grünen Debatte, in der Sozialdemokraten indirekt sogar mit Koalitionsbruch gedroht hatten, und einer weiteren Sitzung des LINKE-SPD-Grüne-Regierungskabinetts in Thüringen ist nun klar: Der Freistaat wird im Bundesrat nicht für die Asylrechtsverschärfung stimmen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Ende September in Berlin mit den Ministerpräsidenten der Länder ausgehandelt hat. Wenn das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz am Freitag in der Länderkammer zur Abstimmung stehe, werde sich das Land der Stimme enthalten, sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) am Dienstag in Erfurt. Das Gesetz sei über einen »Asylkompromiss« an die Verteilung von Bundesmitteln für den öffentlichen Schienennahverkehr gekoppelt worden, was einerseits völlig sachfremd sei und Thüringen andererseits massiv benachteilige. Dem Land drohten Verluste in Höhe von 580 Millionen Euro über 15 Jahre hinweg für den Bahnverkehr im Land. Einen solchen Vorschlag anzunehmen, verbiete ihm sein Amtseid, nach dem er Schaden von Thüringen abwenden müsse, sagte Ramelow.
In den vergangenen Wochen war innerhalb von Rot-Rot-Grün heftig darüber gestritten worden, ob das Land dem Asylkompromiss zustimmen soll oder nicht. Vor allem Spitzenpolitiker von SPD und Grünen hatten dafür geworben. Mehrere Kreisvorsitzende der Landes-SPD hatten sogar indirekt den Zusammenhalt in der Koalition in Frage gestellt, sollte Thüringen dem Gesetz nicht zustimmen. Die Landes- und Fraktionsvorsitzende der LINKEN in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, hatte dagegen schon unmittelbar nach Bekanntwerden der Eckpunkte des Kompromisses gesagt, Thüringen werde dem Vorhaben seine Stimme im Bundesrat verweigern. Ein zentraler Kritikpunkt der LINKEN an dem Vorhaben ist die Einstufung weiterer Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer.
Ebenso wie Ramelow vermied aber trotz der Kabinettsentscheidung auch Hennig-Wellsow am Dienstag jede Siegesgeste. Ramelow sagte, die Kontroverse über die sicheren Herkunftsländer habe im Kabinett nur für »zwei Minuten« eine Rolle gespielt. Die Entscheidung zur Enthaltung sei vornehmlich in den drohenden Millionenverlusten für die Bahn begründet. Das Kabinett habe keine ideologische Debatte geführt. Zudem sei schon die Entscheidung für die Enthaltung ein Kompromiss. Weil aus seiner Sicht neben der Frage der sicheren Drittstaaten auch viele andere Punkte in dem Gesetz eine schnelle Integration von Flüchtlingen nicht befördere, sei er eigentlich für eine Ablehnung des Gesetzes gewesen. Auch Hennig-Wellsow nannte die geplante Enthaltung im Bundesrat »eine Kompromisslösung«.
SPD-Fraktionschef Matthias Hey versuchte nur halbherzig, seine Enttäuschung über die Enthaltungsentscheidung zu verbergen - gab sich aber gleichzeitig auch betont sachlich. »Ich habe bis zuletzt gehofft, dass die Landesregierung geschlossen im Bundesrat zustimmt«, sagte er. Der Koalitionsvertrag sehe aber vor, dass sich das Land in der Länderkammer der Stimme enthalte, wenn sich die Bündnispartner nicht einig seien.
Kommentar Seite 4
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.