Gesundheitssystem wird weniger solidarisch
Krankenkassenbeiträge steigen 2016 im Schnitt auf 15,7 Prozent / LINKE, Grüne und SPD-Linke kritisieren einseitig wachsende Belastung von Beschäftigten / Unternehmen müssen größeren Anteil übernehmen
Bonn/Berlin. Beschäftige müssen im kommenden Jahr mit spürbar höheren Beiträgen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) rechnen. Der Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt in Bonn prognostizierte am Mittwoch eine durchschnittliche Anhebung des Beitrages um 0,2 Prozentpunkte auf 15,7 Prozent, wie der GKV-Spitzenverband bestätigte. Dabei handelt es sich um eine Empfehlung an das Bundesgesundheitsministerium, das auf der Grundlage in den nächsten Wochen die endgültige Prognose festlegt.
Dieser Anstieg wird über den sogenannten Zusatzbeitrag erbracht, den die Beschäftigten allein schultern müssen. Dieser liegt künftig bei durchschnittlich 1,1 Prozent. Den allgemeinen Beitrag von 14,6 Prozent teilen sich die 50 Millionen Kassenmitglieder und die Unternehmen je zur Hälfte. Damit dürfte sich der Druck auf die Kassen erhöhen. Denn wenn sie ihre Zusatzbeiträge zu stark anheben, könnten sich ihre Mitglieder eine neue Kasse suchen. Zudem verschärfte sich die Diskussion über die paritätische Finanzierung der Krankenkassenbeiträge durch Beschäftigte und Unternehmen.
Die Krankenkassen kritisieren schon seit längerem, dass die von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geplanten Reformen im Gesundheitswesen für sie milliardenschwere Zusatzbelastungen brächten. Zudem schreiben inzwischen alle Kassenarten Defizite. Daher wurde schon zuvor erwartet, dass die Kassen im kommenden Jahr ihren Zusatzbeitrag um durchschnittlich 0,2 bis 0,3 Prozent erhöhen müssen.
Angesichts solcher Beitragssteigerungen verlangte die SPD-Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis eine Rückkehr zu einer fairen Finanzierung durch Unternehmen und Beschäftigte. Sie wies darauf hin, man habe sich in der Koalition von Union und SPD verständigt, dass ein zu hoher Zusatzbeitrag nicht akzeptabel sei. »Diese Grenze wird nun gerissen«, sagte sie.
Der Gesundheitspolitiker der LINKEN, Harald Weinberg, erklärte, die Schieflage bei den Krankenkassenfinanzen sei absehbar gewesen. »Nun hat es die Bundesregierung schwarz auf weiß, wie stark sie nächstes Jahr die Beitragszahler schröpfen wird. Bereits dieses Jahr zahlen die Versicherten über zehn Milliarden Euro mehr als die Arbeitgeber. Nächstes Jahr werden es über 13 Milliarden sein.« Weinberg verlangte, dass die Parität, das Prinzip »halbe-halbe«, zwischen Beschäftigen und Unternehmern wiederhergestellt werden müsse.
Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink plädierte ebenfalls dafür, die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung wieder einzuführen. Nach ihrer Einschätzung werden die Zusatzbeiträge noch weiter steigen, und die Einkommen legten bei weitem nicht so schnell zu.
Ähnlich argumentierten der Sozialverband VdK und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärte: »Die schon jetzt ungerechte Lastenverteilung verschärft sich nun noch mehr. Die Arbeitgeber müssen endlich wieder in die Pflicht genommen werden und ihren Anteil an den Kosten übernehmen. Die Rückkehr zur Parität ist überfällig.«
Zum 1. Januar war der allgemeine Beitragssatz von 15,5 Prozent um 0,9 Punkte auf 14,6 Prozent gesenkt worden. Benötigen die Kassen mehr Geld, müssen sie je nach eigener Finanzlage einen zusätzlichen Beitrag bestimmen. Im ersten Jahr dieser Neuregelung hatte der Schätzerkreis einen durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 0,9 Prozentpunkten empfohlen. Mit dem variablen Zusatzbeitrag will der Gesetzgeber mehr Wettbewerb unter den Kassen erreichen.
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