Beten für die Opfer

Die Preisrede Kermanis

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist eine große Rede. Anrührend, und so fern jener Rhetoriker, die blendend über die gesamte Menschheit und deren Befreiung sprechen - und doch kein Quantum Wärme geben können. Der muslimische Schriftsteller Navid Kermani erhielt am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, und vor allem spricht er über den katholischen Pater Jacques, der in einem syrischen Kloster viele Flüchtlinge aufnahm. Ein Helfender, ein Heiliger der Praxis. Vom IS entführt, von Muslimen befreit. Nun ein Mann mit gebrochenem Herzen, weil nur er gerettet wurde, nicht die ebenfalls entführten Mitglieder seiner Gemeinde.

Kermani widmet seine Rede diesem Gerechten. Er fragt nach dem wirklichen Grad unseres oft behaupteten Aufgewühltseins: Drei Flugstunden entfernt grassiere der Volksgruppenmord - aber »wir stehen erst auf, wenn es uns selbst trifft«. Die Solidarität mit den IS-Bedrohten wie auch den Opfern des Assad-Regimes müsse endlich »politisch werden« - und gehöre westliche Politik nicht zu den Ursachen der derzeitigen Fluchtbewegungen? Der IS, so Kermani, steigere den Horror, es komme der Tag, »da wir nicht mehr warten können«. Er sei nicht unbesiegbar, es gehe um »diplomatische und zivilgesellschaftliche Lösungen«, aber je länger wir solche Mühen hinauszögerten, desto geringer würden die Möglichkeiten jenseits militärischer Schläge. Kermani blickt auf von seiner Rede: »Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen?« Pause. »Ich sage nur, dass Krieg - ist.« Keine Mittel, »womöglich auch militärische«, dürften um des Friedens willen außer Betracht bleiben.

Es ist eine grandios sanfte, bewegend weiche und spannend kluge Ansprache. Der Atem der Geschichte, ganz ohne Lektionsprotz. Die Kraft der Sinne, ganz ohne Prunk. Die Aura des Religiösen, ganz ohne Entrückungspose. Er spricht über Nestbeschmutzung aus Heimatliebe. Wer sein Land verteidigen wolle, müsse es kritisch befragen. Wie den Islam. Kritik freilich ohne Geringschätzung. Das betreffe auch den Umgang mit Europa. Was nach Jahrhunderten der furchtbaren Konflikte zur Einigung führte, sei das politisch Wertvollste, was dieser Kontinent je hervorgebracht habe, »ein Modell, eine Utopie«. Kermanis Worte wirken so inständig, dass einem nur wieder in den Sinn kommt, wie ungeduldsdumm es von linken Kritikern ist, stets so eilfertig das »Scheitern« Europas herbeizureden.

Am Schluss die fast versagende Stimme. Pater Jacques frei! Es geschah wenige Tage vor dieser Preisverleihung. Navid Kermani bittet, am Ende seiner Rede nicht zu applaudieren, sondern: zu beten. Und wer das nicht könne, möge in stillem Wünschen bei den Geiseln, bei den Opfern des Krieges sein. Gebete sind auch Wünsche. »Ich glaube an Wünsche und dass sie mit oder ohne Gott in unserer Welt wirken. Ohne Wünsche hätte die Menschheit keinen jener Steine auf den anderen gelegt, die sie in Kriegen so leichtfertig zertrümmert.«

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