»Dann ist es halt Kampagne«
Heribert Prantl sprach auf der Tucholsky-Tagung über politischen Journalismus
Kann man »Erfolg, aber keinerlei Wirkung haben«, wie Kurt Tucholsky 1923 beklagte? Diese Unterscheidung kennt wohl nur, wer um politischer Veränderung, nicht bloß schön gedrechselter Sätze willen schreibt. Dass Heribert Prantl durchaus Wirkung entfalten will, weiß man: Seit bald 30 Jahren schreibt er für die »Süddeutsche Zeitung«, kritisiert in seinen Kommentaren unermüdlich Staatsgeheimnisse, Überwachung, Migrationspolitik, Finanzkapitalismus. Erfolg hat er damit auch.
Am Samstag war er auf der Jahrestagung der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft in Berlin geladen, um über seine Vorstellungen von politischem Journalismus zu sprechen. »Man muss schreiben, schreiben, schreiben«, insistiert der Tucholsky-Preisträger von 1996: »Für Frieden, Rechtsstaat und Demokratie. Und wenn dann jemand sagt, aber dass ist dann doch Kampagne: Ja, dann ist es halt Kampagne.« In diesem Sinn sei Tucholsky, der Kämpfer mit der Schreibmaschine, der versuchte, die Katastrophe aufzuhalten, noch immer Vorbild für ihn. Dieser Versuch gehöre »zu dem Eindrucksvollsten, was der Journalismus im 20. Jahrhundert geleistet hat.«
Zumindest an diesem Tag hat sich Prantl nicht über fehlende Wirkung beklagt. Gewundert habe er sich, als er sich vor einigen Wochen in der Flüchtlingsfrage unversehens im Mehrheitslager wiedergefunden habe. Allerdings sei dieser Zustand freilich nicht von Dauer gewesen: »So ähnlich wie zuvor die Betroffenheit, wird jetzt das Kippen der Stimmung herbeigeschrieben und herbeigesendet.« Er nennt dieses mediale Hin und Her »Boulevardisierung des politischen Journalismus«. Womöglich funktioniere die moderne Mediengesellschaft eben so, dass sie Empathie nicht länger als drei oder vier Wochen aushalte, ironisiert Prantl.
Dem setzt er entgegen, dass ein Journalist über eine gut begründete Meinung verfügen müsse - und sich durchaus mit einer Sache gemein machen dürfe: »Was wäre das für ein politischer Journalimus, der keine Haltung und keine Botschaft hat? Wenn einem Journalisten nichts etwas bedeutet, dann bedeutet der Journalismus nichts.« Prantl dagegen hat bekanntermaßen eine Botschaft und trägt sie leidenschaftlich vor. Er skizziert die Grundzüge einer humaneren Flüchtlingspolitik, fordert eine Restriktion von Waffenexporten, gerechten Handel. Einem politischen Journalisten müsse angelegen sein: Sozialstaat, Rechtsstaat, Demokratie, Grundwerte, Frieden. Da sind sie wieder, die großen Worte, für deren Umsetzung Prantl, der ehemalige Staatsanwalt und Richter, in seinen Kommentaren stets plädiert. »110-prozentige Zustimmung« erhält er dafür aus dem Publikum, sein »Mut« wird bewundert - als wäre Heribert Prantl ein versprengter Widerstandskämpfer und nicht in der Chefredaktion der »Süddeutschen Zeitung«.
Aber fehlt in seiner Aufzählung nicht etwas? Ist mit Sozialstaat und Grundrechten tatsächlich schon alles gut? Sind damit die wuchernden Undurchsichtigkeiten des Kapitalverhältnisses entschärft? Allein am Finanzkapital und intransparenten Freihandelsabkommen liegt die Krisenhaftigkeit sicher nicht. Das Thema der Tagung lautete: »Linke Intellektuelle zwischen Bürgertum und Arbeiterbewegung«. Prantl hatte nichts dazu zu sagen.
Jeder spürt, wenn Prantl schreibt und spricht, das Gewicht einer moralischen Instanz. Tucholsky beschreibt sich und seinesgleichen als »entlaufene Bürger«, die »zwischen zwei Stühlen« säßen. Prantl weiß, wo er steht: auf den Grundfesten des demokratischen Rechtsstaates. Tucholsky schrieb mit »Hass aus Liebe«, für die Revolution, gegen »das Gefühl der Popligkeit« und bejahte die Frage, ob Satire wirklich alles dürfe.
Prantl antwortet in seinen Artikeln juristisch korrekt: »Nein. Hass und bösartige Hetze werden stets vom Straftatbestand der Volksverhetzung erfasst.« Seinen Vortrag beginnt er mit »Liebe Demokratinnen und Demokraten« und am Ende sinniert er noch einmal über die Frage, was die Aufgabe des Journalisten sei: Dem Zeitgeist voraus zu sein, besser: ihn zu verändern. Und bringt zur Illustration nicht etwa ein journalistisches Beispiel, sondern eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Pardon - hier kommt einem Althussers Begriff vom ideologischen Staatsapparat in den Sinn.
Der Lebensweg Tucholskys lässt sich beschreiben als »jahrelanger Selbstbefreiungsversuch aus privilegierten Verhältnissen«, pointiert ein Referent auf der Tagung. Von einer politischen kam Tucholsky auch zu einer ökonomischen Kritik des Bürgertums. Sein Kampf für die Arbeiterklasse missverstand er nicht als Parteisoldatentum und Liquidation selbstständigen Denkens: »Lieber ein Anzug nach Maß als eine Gesinnung von der Stange«, war sein Motto.
Wenn die Pegida-Knallchargen Lutz Bachmann und Tatjana Festerling eben diese Losung im Sommer 2015 benutzen, ist das einer von den schlechten Scherzen, die in jüngerer Zeit immer öfter gemacht werden. Zu denen gehört auch, dass einer wie Prantl auf »politisch inkorrekten« Internetseiten als »Gesinnungstäter« denunziert wird, der das »deutsche Volk« auslöschen wolle.
Leben wir wieder in einer Dämmerung? »Es dämmert, und wir wissen nicht, was das ist: eine Abenddämmerung oder eine Morgendämmerung«, schrieb Tucholsky 1920, fünf Jahre vor der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten. Prantl hat Recht: Journalismus muss Stellung beziehen, vielleicht mehr denn je. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass sich von Tucholsky auch noch etwas anderes als Verfassungspatriotismus lernen lässt: ein »vertikaler«, ein klassenbewusster Journalismus, der weiß, was Ausbeutung ist und dass es sie auch unter demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen gibt.
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