Wirklich, Herr Brecht?
Dietrich Bonhoeffer
Gegen die Dummheit verfangen alle Gründe - daher ist gegen die Dummen mehr Vorsicht geboten als gegen das Böse. Zudem: Nichts von dem, was wir in Anderen verachten, ist uns selber ganz fremd, und von einem Anderen sollten wir nie mehr erwarten, gar fordern, als wir selber leisten wollen oder können.
Gedanken des Theologen und Pfarrers Dietrich Bonhoeffer, der im April 1945 im KZ Flossenbürg ermordet wurde. Friedrich Schorlemmer liest auf einer CD aus »Widerstand und Ergebung« sowie »Gemeinsames Leben«. Christian Lambour spielt Clavichord - dies von Bonhoeffer so gemochte Instrument. Er spielt, dass einem ein Anhauch jener schönen These gewahr wird, Musik habe Gott bei der Schaffung der Welt assistiert.
Schorlemmer liest in Hinwendung und mit dem Atem des Herausgefordertseins. Man kann ja unter dem, was einem an Pflicht aufgetragen ist, aufrichtig ächzen - oder aufgerichtet staunen. Schorlemmer staunt, sprechend. Da nimmt ein Lesender innig an, was der hohe Anspruch Bonhoeffers unzweifelhaft auch ausstrahlt. Eine Ahnung: Das schaffst du selber nie. Geschichte läuft ja so, dass einige Wenige anständig bleiben - und auf die beruft sich später der große Rest. Es ist wohl auch Bonhoeffers Schicksal gewesen.
Wer diesen Geist empfängt, wird einmal mehr Brechts Satz, erst käme das Fressen, dann die Moral, als anfechtbar begreifen. Denn wer erst alles frisst, um sich dann Moral zu leisten, ist schon geschluckt. Bonhoeffer wird das, was er zu sagen hat, noch vor jeglicher Mahlzeit sagen. Sogar vor der des Henkers. Moral ist, was auf keine Verhältnisse Rücksicht nimmt, sie bleibt Einzelleistung wie das Gewissen. Es sei leichter, so Bonhoeffer, eine Sache prinzipiell durchzuhalten als im Konkreten. Die Menschheit zu lieben, ist einfacher als Nächstenliebe. Nächstenliebe ist Arbeit - gesetzt gegen den modernen »freien« Menschen, der nicht auf andere Interessen treffen will. Der sie nur treffen will. Mitten ins Herz. Erledigt. Ich gegen Ich.
Gott kommt unweigerlich ins Gespräch. Sich Gott zu schaffen, ist ein Talent. Das nicht unbedingt in Kirchen führen muss. Es ist die Fähigkeit, im Vertrauen nicht nachzulassen. Womit wir Gott ausgestattet haben, das spricht für uns. Vielleicht besteht ein Urgrund des Glaubens darin, einen Daseinsschmerz auf genießbare Art zu entfalten. Und auf das, was weh tu, mit dem zu reagieren, was not tut: Blinde und Lahme an den gemeinsamen Tisch!, Ausgestoßene in die Mitte geholt!, Schmutzigen die Hand gereicht! Jetzt doch nochmal Brecht: »Glück ist Hilfe.« Bonhoeffer: Gott gebe Widerstandskraft, »aber nicht im Voraus.« Du musst schon, wo du gefordert bist, hindurch durch deine Angst. Den ganzen langen Weg. Allein, aber vertrauend. Wie gut, das zu hören. Wie leicht, das hinzuschreiben. Wie schwer, es wirklich zu leben. Schorlemmer gibt das Leichte der Texte, ohne ihnen das Schwere zu nehmen.
Friedrich Schorlemmer liest Dietrich Bonhoeffer/ Christian Lambour am Clavichord. CD, 40 min. Accademia - CUBE GmbH & Co., München. Bestellung über Michael Stolle, Lutherstr. 33 b, 068886 Wittenberg.
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