Anstehen für ein freies Bett
In zwei Wochen beginnt die Kältehilfesaison / Neue ganzjährige Unterkunft eröffnet
Die frisch bezogenen Bettdecken liegen ordentlich gefaltet auf den Matratzen, die Schließfächer in jedem Zimmer sind noch leer. Alles in der Notübernachtung Storkower Straße im Stadtteil Prenzlauer Berg ist unberührt. In drei Stunden wird sich das ändern, dann stehen hier die ersten Menschen vor der Tür, die einen Schlafplatz suchen. »Dann ist es 16 Uhr, wir öffnen aber offiziell erst um 18 Uhr«, sagt Mara Fischer. Sie leitet Pankows einzige ganzjährige Notübernachtung, die am Dienstag nach anderthalb Jahren Kampf und Überzeugungsarbeit neu eröffnet.
Ende 2013 musste der Trägerverein Obdachlose machen mobil (mob) aus seinen Räumen in der Prenzlauer Allee ausziehen. »Rausgentrifiziert« hat man sie, sagt Fischer. Nach anderthalb Jahren, in denen sie Gespräche mit dem Bezirk und dem Senat führten, Briefe an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und den Sozialsenator Mario Czaja (CDU) unbeantwortet blieben, hat der Verein nun die untere Etage einer Flüchtlingsunterkunft bezogen, in der 250 Menschen leben. »Alles ist auf Kommunikation und Miteinander ausgelegt«, sagt Fischer. Flüchtlinge haben beim Kistentragen und einrichten geholfen. Es soll einen regelmäßigen Austausch zwischen den Bewohnern geben. Die Kleiderkammern kooperieren.
In der Notunterkunft werden künftig 20 Obdachlose einen temporären Schlafplatz finden. Ein Wohnheim ist die Unterkunft nicht. Die 2800 Euro Miete, die der Verein jeden Monat an den Vermieter, das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) zahlt, kommen ausschließlich aus Spenden. »Lange werden wir das nicht stemmen können«, sagt Andreas Düllick, Mitglied im mob-Vorstand und Chefredakteur des Strassenfeger. Deshalb will der Verein in das Ende 2015 auslaufende integrierte Sozialprogramm des Senats aufgenommen werden. Etwa 220 000 Euro bräuchte der Verein, dann wäre das Projekt in der Storkower Straße ausfinanziert, sagt Düllick. Die Senatssozialverwaltung hat den Antrag erhalten, bestätigt Sprecherin Regina Kneiding. Er wird gerade geprüft.
In zwei Wochen wird eine weitere Kältehilfesaison in Berlin beginnen. Sozialsenator Czaja hatte angekündigt, die etwa 600 Plätze in der Kältehilfe auf 700 aufzustocken, da der Bedarf gestiegen sei. »Auf die 700 Plätze werden wir nicht sofort kommen, das ist auch nicht nötig, da die Kapazitäten aus Erfahrung nicht gleich am Anfang der Kältehilfesaison ausgelastet sind«, sagt Kneiding. Die zugesagten 700 Plätze seien aber ausfinanziert. »Die Plätze werden nicht ausreichen«, sagt Heiko Thomas, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünenfraktion. Schon im letzten Jahr waren die Betten teilweise zu mehr als 100 Prozent ausgelastet. Zusammen mit der LINKEN und den Piraten fordern die Grünen eine Aufstockung auf mindestens 1000 Übernachtungsplätze.
Neben den gesicherten Übernachtungsplätzen wird auch die gesundheitliche Versorgung für Wohnungslose schwieriger. Laut einer Umfrage der Berliner Krankenhausgesellschaft hatten die Krankenhäuser bereits im Jahr 2012 Kostenausfälle für die Notfallbehandlung von Menschen ohne Krankenversicherung, zu denen viele Obdach- und Wohnungslose gehören, in Höhe von 2,8 Millionen Euro. »Berlin verlässt sich zu stark auf ein nicht reguläres Hilfesystem aus ehrenamtlich und spendenfinanzierten Stellen und die Notfallversorgung im Krankenhaus«, sagt Thomas. Etwa 6600 BerlinerInnen sind laut Schätzungen nicht krankenversichert.
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