»Moralische Großmacht« gerät zunehmend in Zwänge

Auch in Schweden brennen Asylheime / Wachsende Unruhe in der Bevölkerung und steigende Umfragewerte für Rechtspopulisten

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.
Schweden rechnet für dieses Jahr mit mehr als 150 000 Flüchtlingen. Nichts lasse darauf schließen, dass der Flüchtlingszustrom in unmittelbarer Zukunft zurückgehe, sagte Ministerpräsident Stefan Löfven.

Nach den Worten des früheren Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt sollte Schweden eine »moralische Großmacht« sein, die generös Flüchtlinge aufnimmt und ihnen eine neue Chance gibt.

Bisher hat das skandinavische Land zu dieser Aussage gestanden und allein in der vergangenen Woche fast 10 000 Migranten aufgenommen. Die Prognose für das gesamte Jahr 2015 geht von 150 000 bis 200 000 Asylbewerbern aus. Gemessen an der Bevölkerungsgröße von 9,6 Millionen ist das eine beträchtliche Anzahl. Verfügbare Gebäude zu finden ist schon fast unmöglich, sodass zeitweilige Container- und Zeltlager eingerichtet werden mussten, um die Situation einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen.

In den vergangenen Wochen haben einige Ereignisse jedoch Schatten auf das positive Bild geworfen. Während die Mitarbeiter der Ausländerbehörde, kommunale Angestellte und freiwillige Helfer hart daran arbeiten, die neu angekommenen Flüchtlinge zu registrieren, ihren Hintergrund zu untersuchen und für so elementare Dinge zu sorgen wie ein Dach über dem Kopf, gab es innerhalb einer Woche vier Brände in Asylheimen, zuletzt am Dienstagmorgen. Seit Jahresbeginn gab es 15 Fälle. In der Mehrzahl handele es sich dabei um Brandstiftung, teilten die Ermittlungsbehörden mit. Dieser Verdacht liegt auch bei den jüngsten Bränden nahe. Auch in Schweden gibt es eine aktive rechtsextremistische Szene, die den Flüchtlingsstrom mit scheelen Blicken verfolgt und möglicherweise flammende Fanale setzen will. Diese Minderheit fühlt sich gestärkt durch wachsende Unruhe und Zukunftssorge in der Bevölkerung.

Nicht von ungefähr hat sich die Partei der Schwedendemokraten seit Monaten stabil als stärkste Partei in den Meinungsumfragen etabliert und könnte bei Wahlen derzeit auf jede vierte Stimme zählen. Die Partei hat eine Anzeigenkampagne in nahöstlichen Zeitungen angekündigt, in denen potenzielle Flüchtlinge darüber informiert werden sollen, dass Schweden nicht jeden Ankömmling als asylberechtigt anerkennen wird.

Natürlich befürworten die wenigsten ihrer Wähler Gewalt, aber auch in diesem Musterland der Hilfsbereitschaft breiten sich die Zweifel aus, ob das Boot nicht längst voll ist, ob die Integration glücken kann und welche Kosten auf Schweden zukommen werden. Die Ausländerbehörde hat noch keine endgültigen Zahlen vorgelegt für dieses und das nächste Jahr, aber die Prognosen deuten auf einen Betrag zwischen dem Doppelten und Dreifachen des bisherigen. Steuererhöhungen sind bereits angekündigt.

In der offiziellen Politik gibt es Signale, dass Schweden die Geduld mit seinen EU-Nachbarn verliert. Ministerpräsident Stefan Löfven kämpfte um einen EU-Verteilerschlüssel für neu angekommene Flüchtlingen und verlangte mehr europäische Solidarität. Innenpolitisch ist Löfven unter Druck geraten, die nationale Politik neu zu definieren und dabei Rücksicht zu nehmen auf die Ängste in der Bevölkerung.

Bisher konnte der Premier auf einen Burgfrieden zählen, den alle parlamentarischen Parteien nach den Wahlen 2014 eingingen. Keine der traditionellen Parteien konnte eine Mehrheit erringen, während die Schwedendemokraten knapp 13 Prozent erreichten und das Zünglein an der Waage sein konnten. Um ihren Einfluss einzudämmen, einigten sich die Mitte-Links- und die bürgerlichen Parteien darauf, einander kein Misstrauensvotum zu stellen. Die Bewertung dieses ungewöhnlichen Schrittes liegt dabei zwischen letztem demokratischen Mittel, Extremisten von der Macht fernzuhalten, bis zur Aushebelung der Demokratie.

Diese Absprache wurde nun durch die Christdemokratische Partei gekündigt. In den Medien wird darüber spekuliert, ob andere Parteien diesem Kurs folgen könnten. Kurzfristig wird es wohl keine Änderungen in der schwedischen Politik geben, aber auf längere Sicht werden Anpassungen an wirtschaftliches Vermögen des Landes und Rücksichtnahme auf Wünsche bedeutender Bevölkerungsgruppen unumgänglich sein.

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