Katastrophenhelfer
Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger bezichtigt seinen Nachfolger Wolfgang Niersbach der Lüge
Lag im Fußball die Macht jemals so auf der Straße, wie im Herbst 2015? Joseph Blatter, aktueller FIFA-Präsident, ist suspendiert - mutmaßlich korrupt. Michel Platini, UEFA-Präsident, ist zumindest bei der FIFA suspendiert - mutmaßlich korrupt. Und Wolfgang Niersbach, DFB-Präsident, scheitert kläglich bei dem Versuch, mit Millionen Euro gefüllte schwarze Kassen zu erklären - Niersbach lüge, behauptet einer, der es wissen könnte. Sein Vorgänger Theo Zwanziger sagt im aktuellen »Spiegel«: »Es ist eindeutig, dass es eine schwarze Kasse in der deutschen WM-Bewerbung gab«, sagt der ehemalige DFB-Präsident . Und ebenso klar sei, dass Niersbach davon nicht erst seit ein paar Wochen wisse. »So wie ich das sehe, lügt Niersbach.«
Kaum eine Fußballseite im Internet, die das Video von Niersbachs Auftritt in der DFB-Zentrale am Donnerstag nicht verlinkt hat - zehntausendfach geklickt. Und wer sich den stammelnden Niersbach bei seinem 39-minütigen Rettungsversuch am Donnerstag in der DFB-Zentrale anschaut, kann sich gut ausmalen, dass Zwanziger Recht haben könnte mit seiner Behauptung. Oder sollte der Chefposten beim weltgrößten Sportfachverband tatsächlich derart fehlbesetzt sein? Mit einem Mann, der quasi nichts weiß und vor allem, auch nichts in Erfahrung bringen kann, wenn die Luft brennt und sein Verband der Korruption verdächtigt wird? Der nicht mehr zu berichten weiß, als jene dürren Informationen, die ihm angeblich OK-Chef Franz Beckenbauer am Dienstag in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt habe? Wieso wird man den Eindruck nicht los, Niersbach deckt den »Kaiser«? Und was macht Niersbach so sicher, dass alles sauber ablief.
»Die Karikatur eines Sportverbandes«, so fasste »Zeit Online« Niersbachs wirren Auftritt am Donnerstag zusammen. »Sein Name ist Niersbach, er wusste von nichts!« ätzte »Spiegel Online«. Und in der »Süddeutschen Zeitung« erinnerte Hans Leyendecker daran, dass OK nicht nur die Abkürzung für »Organisationskomitee« ist, sondern auch für »Organisierte Kriminalität«.
Wer den Schilderungen von Theo Zwanziger Glauben schenken will, wird mit wenig Erstaunen im »Spiegel« von einem Telefonat Zwanzigers mit dem einstigen DFB-Geschäftsführer Horst R. Schmidt lesen, der angeblich gesagt haben soll, jene 10 Millionen Schweizer Franken (6,7 Millionen Euro) seien von Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfuß 2002 an Mohammed Bin Hammam geflossen, den Katarer, der von 1996 bis 2011 Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees war.
Und auch wenn in den Berichten immer wieder die Idee eines vermeintlichen »Rachefeldzugs« auftaucht, den der ehemaligen Präsidenten Zwanziger angeblich gegen seinen Nachfolger führt: Zwanziger ist offensichtlich der Einzige, der bereit und in der Lage ist, sich zu erinnern an jene Ereignisse, die sich um die 6,7 Millionen Euro ranken.
Will man so jemanden »Maulwurf« nennen? Man könnte ihm sogar hehre Motive unterstellen, Aufklärungswillen, wenn auch nicht gerade uneigennützigen - denn die Vorgänge rund um die vermeintliche »Rückzahlung« des DFB im Jahre 2005 liegen etwas mehr als zehn Jahre zurück. Die Verjährungsfrist für Untreue in besonders schweren Fällen (Schaden über 50 000 Euro) liegt bei zehn Jahren. Zufall? Ebenso wie die Tatsache, dass der DFB-Präsident, in dessen Ägide der angebliche Millionenkredit von Louis-Dreyfus fällt, jüngst verstorben ist? Gerhard Meyer-Vorfelder, der zu jener Zeit, als die Story um die Millionen-Überweisungen an die FIFA spielt, auch noch dringend ins Exekutivkomitee der FIFA gewählt werden wollte.
Beim DFB agieren alle nach dem Prinzip: Nicht mehr zugeben, als unbedingt notwendig ist. Im Zweifelsfall hat keiner was gewusst, oder man erinnert sich eben nicht mehr: Alles viel zu lange her. Der DFB-Präsident Wolfgang Nierbach wusste bei seiner verunglückten PK am Donnerstag noch nicht einmal eine Antwort auf die Frage, ob es denn üblich sei, an den Fußball-Weltverband erst eine Tranche von 6,7 Millionen Euro zu bezahlen - als eine Art »Organisationszuschuss«, um dann von dem selben Verband 170 Millionen Euro ausgezahlt zu bekommen: »Auch da bin ich überfragt.« Ist der Mann, dem auf diese Frage keine gescheite Antwort einfiel, tatsächlich noch vor wenigen Wochen als Kandidat für das Amt des FIFA-Präsidenten ins Spiel gebracht worden?
Beim Deutschen Fußball-Bund findet man den Präsidenten Niersbach scheinbar weiterhin okay: »Das Präsidium hat absolutes Vertrauen in Wolfgang Niersbach«, sagte Präsidiumsmitglied und Liga-Präsident Reinhard Rauball nach dem über dreistündigen Meeting in einem Dortmunder Hotel am Freitag. »Lückenlos« solle jetzt alles aufgeklärt werden. Am Abend sollte die Einweihung des Deutschen Fußballmuseums gefeiert werden. Günter Netzer und Uwe Seeler wollten nicht dabei sein. Auch Franz Beckenbauer nicht.
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