»Der Bamberger Nazi-Szene ist alles zuzutrauen«

Waffen, Sprengstoff, Anschlagpläne lassen Sorgen vor neuem Rechtsterrorismus wachsen / Experte: Rolle von Neonazis in Pegida-Bewegung wird unterschätzt / Debatte: Wo beginnt rechter Terror?

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Ein Attentat auf eine OB-Kandidatin in Köln, Waffenfunde bei Neonazis, Gewalt bei Pegida: Experten warnen vor einer weiteren Radikalisierung der rechten Szene, die bis weit in die bürgerliche Mitte ihre Anhänger findet. Auch eine neue Definition des Rechtsterrorismus wird diskutiert.

Nach dem Auffliegen einer Neonazi-Bande in Bamberg hat sich der Rechtsextremismus-Experte Martin Becher zwar vom Ausmaß der Waffenfunde und der Anschlagpläne der in Bamberg aufgeflogenen Neonazi-Gruppierung überrascht gezeigt. Andererseits sei schon länger klar, dass die Partei »Die Rechte« hier sehr aktiv sei, so Becher. Einige der Beschuldigten, die wegen mutmaßlicher Anschlagpläne auf Flüchtlingsheime und linke Gruppen ins Visier der Polizei geraten waren, gehören nach Angaben der Staatsanwaltschaft zu dieser Partei.

»Es gibt lediglich vier Ortsverbände in Bayern, aber sie versuchen, sich in Szene zu setzen. Das galt besonders für den Bamberger Kreisverband«, sagte der Geschäftsführer des Bayerischen Bündnisses für Toleranz der Deutschen Presse-Agentur. »Seit dem Frühjahr war klar: Der Bamberger Szene ist alles zuzutrauen. Deshalb bin ich nicht allzu sehr überrascht. Aber das Ausmaß hätte ich in der Tat nicht erwartet.«

Die Mitglieder der Bamberger Kreisverbands der Partei »Die Rechte« kämen ursprünglich aus der Fan-, Hooligan- oder Rockerszene und nicht aus der neonazistischen Szene. »Die Ideologie des Rechtsextremismus dient aber als gemeinsames Band.« Politisierung und Radikalisierung seien nach und nach durch gemeinsame Aktionen entstanden.

Die Neonazi-Szene schaukle sich derzeit hoch, beobachtet Becher, der auch die Projektstelle gegen Rechtsextremismus im Evangelischen Bildungszentrum Bad Alexandersbad leitet. Seit etwa eineinhalb Jahren gebe es auch nur noch ein Thema in der Szene: Flüchtlinge. Zuvor seien verschiedene Themen gespielt worden, etwa Leiharbeit und Arbeitslosigkeit oder EU-Erweiterung. Doch nun hätten alle Neonazi-Gruppierungen wie NPD, »Die Rechte« oder »Der Dritte Weg« ein gemeinsames Thema, das sie eine.

Und: Es gebe auch vermehrt Rechtspopulisten, die dieses Thema lautstark besetzten, etwa Pegida oder die Rechtspartei AfD. Unter dem Denkmantel des »besorgten Bürgers« könnten sie alle ihre Ideen verbreiten und stießen nicht selten auf Akzeptanz in größer werdenden Teilen der Bevölkerung.

In Bayern werde zu wenig öffentlich wahrgenommen, dass die Pegida-Ableger in München, Nürnberg und Würzburg in ihrer Spitze und bei den Verantwortlichen verkappte Neonazis seien. In Dresden sei Pegida lange getragen gewesen von Bürgern des rechtskonservativen Spektrums, die zwar rassistisch auftraten, aber keine Neonazis waren. In Bayern dagegen spielten Neonazis eine entscheidende Rolle in der Organisation. »Ich finde, das wird in der öffentlichen Wahrnehmung unterschätzt«, betonte Becher.

Zudem nehme das Ausmaß der Gewalt immer größere Dimensionen an: Erst würden Hakenkreuze an Flüchtlingsunterkünfte gemalt, dann hätten Flüchtlingsunterkünfte gebrannt, dann sei das Attentat auf die inzwischen gewählte Kölner Oberbürgermeisterin gekommen. »Die Gewaltschwelle wird mit jeder Tat ein wenig höher gesetzt.« Damit setze sich eine Gewaltspirale in Gang: Um sich in Szene zu setzen, reiche es jetzt für Neonazis nicht mehr, Hakenkreuze an Wände zu malen.

Der Kriminalist Bernd Wagner plädierte unterdessen für eine neue Diskussion über den Terrorismus-Begriff in Deutschland. »In der alten Definition können Terror-Akte zur Verbreitung von Schrecken, um politische Ziele durchzusetzen, nur von einer Gruppe von Menschen verübt werden«, sagte der Rechtsterrorismus-Experte Wagner dem Evangelischen Pressedienst. Dies sei eine sehr hohe definitorische Anforderung und erschwere die strafrechtliche Verfolgung. Nach Ansicht des Extremismusforschers Hans-Gerd Jaschke Gefahr droht auch aus der Mitte der Gesellschaft Gefahr.

Hintergrund ist die Messerattacke auf die neue Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos). Sie wurde bei einem Attentat am vergangenen Samstag, einen Tag vor der Oberbürgermeisterwahl, an einem Wahlstand niedergestochen und lebensgefährlich verletzt. Der Täter wurde noch am Tatort festgenommen. Nach Erkenntnissen des NRW-Verfassungsschutzes hatte er in der Vergangenheit Verbindungen in die rechtsextreme Szene.

Ob am Rande oder in der Mitte der Gesellschaft, ob Einzeltäter oder Gruppe: Für den Rechtsterrorismus-Experten Wagner ist die sogenannte »ideologische Intentionalität« ausschlaggebend, ob es sich um Rechtsterrorismus handelt. Ausschlaggebend sei, ob sich der oder die Täter einer Mission verpflichtet fühlten. Dies könne ein Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim sein oder eine Messerattacke auf einen Menschen. »Für den Rechtsterroristen stellen die Demokratie und ihre Vertreter ein Symbol des Übels dar und Hauptverursacher der Schande für das deutsche Volk«, unterstrich der Experte.

Unterdessen warnte der Extremismusforscher Hans-Gerd Jaschke davor, dass rechtsextreme Anschläge zunehmend von Tätern aus der Mitte der Gesellschaft begangen werden. Wie die Täter der fremdenfeindlichen Anschläge in den 1990er Jahren hätten sie das Gefühl: »Wir tun nur das, wovon die anderen reden und denken«, sagte der Professor der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht am Freitag im WDR-Radio.

In der Mitte der Gesellschaft entstehe zurzeit ein Klima, in dem Täter sich ermutigt fühlen könnten, quasi als Stellvertreter zu handeln, sagte Jaschke. Die organisierte rechtsextreme Szene sei weitgehend unter Kontrolle der Sicherheitsbehörden. Dagegen sei über die Täter außerhalb dieser Szene wenig bekannt.

Wagner wandte sich indes gegen eine Vermischung von rechtspopulistischen Bewegungen wie Pegida und rechtsterroristischen Straftaten: »Pegida ist nicht der ideologische Zuchtmeister für terroristische Ideen.« Der Reker-Attentäter sei in der ultraradikalen, rechtsextremistischen Kleinstpartei »Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei« Mitglied gewesen. »Das ist der Geist und die Ideologie von NSU-Tätern«, sagte Wagner.

Hingegen warf der Migrationsforscher Wolfgang Kaschuba Teilen von Pegida Terrorismus vor. »Gewaltaufrufe und Brandanschläge sind blanker Terrorismus«, sagte der Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Pegida und deren Ableger arbeiteten mit Drohungen, Einschüchterung und Nötigung. Auf der Straße sammele sich ein »asozialer Mob«. Die Politik rief er dazu auf, dies nicht länger zu verharmlosen. Agenturen/nd

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