»Milo, du bist ein Dieb«
Polizei löst Proteste gegen Montenegros Regierungschef Djukanovic gewaltsam auf / Auch in Kosovo Krawalle
Mit der Friedhofsruhe ist es im Land der Schwarzen Berge vorläufig vorbei. Heftige Detonationen erschütterten am späten Samstagabend das Zentrum der Hauptstadt Montenegros. Unablässig feuerten maskierte Demonstranten Feuerwerkskörper auf die vor dem Parlament aufgezogenen Polizeieinheiten, während die Sicherheitskräfte die Innenstadt von Podgorica mit Tränengaswerfern und Schockbomben in dichte Nebelschwaden hüllten. Ungewohnt heftige Ausschreitungen überschatteten die Großdemonstration des Oppositionsbündnisses der Demokratischen Front (DF) gegen die Regierung des seit einem Vierteljahrhundert regierenden Ministerpräsidenten Milo Djukanovic.
»Milo, Du bist ein Dieb«, skandierten die Demonstranten, die gewaltsam in das Parlament einzudringen versuchten. Rund 40 Menschen wurden bei den Ausschreitungen verletzt, davon ein Polizist offenbar schwer. Unter den Verhafteten befanden sich auch mehrere Oppositionsabgeordnete. Vorzeitige Neuwahlen und den Abtritt des seit 1991 abwechselnd als Premier und Präsident amtierenden Djukanovic fordert die keineswegs homogene Opposition, die dem »Zar« einen autoritären Führungsstil, systematische Selbstbereicherung und enge Verbindungen zur Mafia vorwirft.
Die Opposition sprach am Wochenende von der größten Demonstration in Montenegros Geschichte, die Polizei von rund 5000 Demonstranten. Der erst 53-jährige Politveteran Djukanovic sieht hinter den seit Ende September anhaltenden Dauerprotesten die steuernde Hand großserbischer Kreise in Belgrad sowie Russland am Werk. Moskau wolle Montenegro vom Weg in die EU und in die NATO abbringen. Als »Dummheit« bezeichnen Sprecher der Opposition diese Behauptung. Es handle sich um einen Protest aller Bürger Montenegros.
Tatsächlich ist der geplante NATO-Beitritt des seit 2006 unabhängigen EU-Anwärters vor allem bei der serbischen Minderheit umstritten. Auch die enge Kooperation Montenegros mit dem von Belgrad noch immer nicht anerkannten Kosovo sorgt im serbischen Teil der Bevölkerung für anhaltende Verbitterung. Eher liberale Kräfte innerhalb der Opposition werfen »Rasiermesser« Djukanovic indes vor allem vor, das Land zum korrupten Privatstaat seines Clans und rechtsfreien Eldorado für Drogenbarone und windige Geschäftsleute gemacht zu haben.
Auch das nahe Kosovo wurde in der Nacht zu Samstag erneut von heftigen Krawallen erschüttert. Um die Abstimmung über ein - auf Druck der Europäischen Union - mit Belgrad vereinbartes Abkommen über mehr Minderheitenrechte für die serbische Bevölkerungsgruppe im überwiegend von Albanern bevölkerten jungen Staaten zu verhindern, legten Abgeordnete der Opposition zum dritten Mal innerhalb weniger Tage das Parlament mit Tränengasgranaten lahm.
Molotow-Cocktails und Steine prasselten derweil auf den Polizeikordon vor dem Parlament: Oppositionsanhänger sorgten erneut für heftige Ausschreitungen auf den Straßen der Hauptstadt Pristina. »Die politische Krise lässt das Land im Chaos versinken«, kommentierte am Wochenende entsetzt die Zeitung »Koha Ditore«.
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