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Prekäre Felder des Kapitalismus

Das Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg widmet sich den Themen Migration, Gewalt, Geld und Kontrolle

  • Felix Koltermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Rundumschlag über aktuelle politische und soziale Themen, den sich Urs Stahel, Kurator des Fotofestivals Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg, für die sechste Ausgabe vorgenommen hat. In diesem Jahr steht die internationale Biennale unter dem Titel »7P - Prekäre Felder« und zeigt an sieben Orten in den drei beteiligten Städten unterschiedliche fotografische Positionen zu so vielschichtigen Themenkomplexen wie Migration, Gewalt, Urbanismus, Geld, Wissen, Kommunikation und Kontrolle. Im Vordergrund stehen dabei vor allem künstlerische fotografische Positionen von bekannten Namen wie Ai Weiwei, Thomas Hirschhorn, Trevor Paglen oder Jürgen Teller.

So ist die Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen dem Themenfeld »7.1. High-Tech, Logistik und Migration« gewidmet. Urs Stahel hat hier einige beeindruckende Werke zusammengetragen. Mit zehn Arbeiten im Untergeschoss des Museums ist es die zahlen- und flächenmäßig größte der sieben Ausstellungen. Hier bekommt beispielsweise die High-Tech-Lebensmittelindustrie in den Bildern von Henk Wildschuts Serie »Food« ein Gesicht. Egal ob bei der Gemüsezucht oder der Schweinemast zeigen sich hier die Sterilität und Serialität zeitgenössischer Lebensmittelproduktion.

Die multimediale Recherche »The Many Moments of an M85« von Lukas Einsele folgt dem Weg einer Streubombe anhand der Produktionskette von der Entwicklung unter anderem in Deutschland bis hin zum verheerenden Einsatz im Libanon durch die israelische Armee. Die Arbeit zeigt hervorragend das Potenzial investigativer Recherche in Form eines künstlerischen Projekts. Die großformatigen Fotografien industrieller Infrastruktur in Henrik Spohlers Werkkomplex »In Between« verdeutlichen dagegen eindrücklich, dass der globale Kapitalismus nicht nur ein wirtschaftliches und soziales Phänomen ist, sondern auch eine räumliche Komponente hat.

Die Ausstellung »7.3.« im Zephyr, dem Mannheimer Raum für Fotografie des Reis-Engelhorn-Museums, beschäftigt sich mit unterschiedlichen Entwicklungen zeitgenössischer Stadtstrukturen. Spannende Verbindungen ergeben sich hier vor allem im Hauptraum, der von einer großen Wandinstallation des Künstlers Ai Weiwei mit Fotografien der rasenden Urbanisierung Chinas geprägt ist. Gegenüber hängen an Immobilienanzeigen in Schaufenstern angelehnte Bilder des Palästinensers Taysir Batniji. Anstatt neuer Wohnungen werden hier jedoch im Gazakrieg 2008/09 zerstörte Häuser angepriesen. Ebenfalls mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt beschäftigt sich die Arbeit »Settlement« des Engländers Nick Wapplington, der die Siedlungen und ihre Bewohner neutral mit seiner Fachkamera porträtierte.

Schade ist, dass die einzelnen Arbeiten nicht immer klar den sieben Oberthemen zuzuordnen sind. Deutlich wird dies beispielsweise am Cluster 7.5. in der Galerie Port 25 in Mannheim zum Thema »Wissen, Ordnung, Macht«. Die dort gezeigten Arbeiten beschäftigen sich vor allem mit unterschiedlichen Verfahren der Archivierung und decken damit nur einen kleinen Teil des anvisierten Themas ab. Gleichzeitig passen dort gezeigte Arbeiten wie »Deposit« von Yann Mingard, eine fotografische Recherche zu Samen- und Genbanken, auch hervorragend zu anderen Themenkomplexen wie High-Tech. Hier zeigt sich einerseits die Schwierigkeit, komplexe fotografische Arbeiten einzelnen Schlagworten zuzuordnen, andererseits werden spannende inhaltliche Querverbindungen sichtbar. Urs Stahel, der lange Zeit sehr erfolgreich das Fotomuseum Winterthur leitete, ist mit der aktuellen Ausgabe des Fotofestivals Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg ein spannender Blick auf die Schattenseiten des Kapitalismus sowie die diesen stützenden bzw. vorantreibenden politischen Regime und deren Politiken gelungen. Wie erfolgreich dabei die kapitalismuskritische Ausrichtung des Festivals und vieler gezeigter Arbeiten ist, zeigte sich im Vorfeld schon an der Verstimmung des Hauptsponsors BASF. Darüber hinaus passen Mannheim und Ludwigshafen als Kulisse deutscher Industriegeschichte perfekt als Austragungsort zum gesetzten Thema.

Parallel zum offiziellen Festival findet außerhalb der großen Institutionen das Festival »Off Foto« statt. Mit Unterstützung der Stadt Mannheim haben sich kleine Kunsträume und Galerien in Mannheim und Heidelberg zusammengetan. Spannend ist vor allem die Ausstellung »Page Impressions«, ein Raum für internationale Fotomagazine. Kuratiert von Sylvia Ballhause und Markus Weckesser ist der Pavillon auf dem Alten Messplatz in Mannheim der gedruckten Fotografie gewidmet. Es ist ein Raum für Liebhaber von Zines und kleinen Magazinen und bietet tolle Möglichkeiten zum Stöbern. Eindrucksvoll zeigt sich die Vielfalt der internationalen Fotomagazinszene.

Bis 15. November. Infos unter: www.fotofestival.info und www.off-foto.info.

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