Der Hausschwamm herrscht im Königsbahnhof
Die Deutsche Bahn will ein denkmalgeschütztes Gebäude in Niedersachsen abreißen - Bürger protestieren
Einen umgeknickten Fuß nebst schmerzhaftem Sturz riskiert, wer das frühere »Fürstenportal« des Bahnhofs Nordstemmen in Niedersachsen erreichen will. Die zur Tür führenden steinernen Stufen, über die einst Hannovers König Georg V. schritt, sind zerbrochen, zwischen ihnen gähnen schwarze Löcher aus dem Keller. Damit neben diesem Elend nicht auch noch gebrochene Knochen zu beklagen sind, ist der Portalbereich abgesperrt worden.
Der ganze, ziemlich große Backsteinbau ist gesperrt. Wer möchte auch schon hinein? Ein Rundgang draußen, ein Blick von den Bahnsteigen an der Strecke zwischen Hannover und Göttingen reicht aus, um sich zu überzeugen: Hier verfällt ein Gebäude, das mal zu den prunkvollsten Bahnhöfen Deutschlands zählte.
Statt Prunk nun Tristesse. Im Dachgebälk marodiert der Hausschwamm, und nicht nur dort. Den Rundbogenfenstern haben Spanplatten die Durchsicht genommen. Weitere Fenster sind zugemauert oder ohne Glas. Unweit der Gleise vergammelt ein gusseisernes Gerüst. Das Dach, das es vor langer Zeit trug, schützte die Majestät und ihre Entourage vor den Unbilden des Wetters.
Der Verfall ließe sich aufhalten. Aber die Bahn als Eigentümerin des Ganzen will den Abriss - sehr zum Unmut engagierter Nordstemmer Bürger. Vor allem der Kultur- und Heimatverein des 13 000-Seelen-Ortes ist verärgert darüber, dass das Unternehmen die historische Bedeutung des Bahnhofs offensichtlich ignoriert.
Der Bahnhof war 1853 errichtet worden. Sein prächtiges Empfangsgebäude, geplant vom renommierten Architekten Conrad Wilhelm Hase, bestach durch repräsentative Aufenthaltsräume, in denen Georg V., der letzte König von Hannover, nebst Familie verweilen konnte. Vorübergehend nur, denn: Am Bahnhof warteten schon Kutschen. Mit ihnen erreichten der Monarch und sein Gefolge die in Sichtweite gelegene Marienburg, die Sommerresidenz der Welfen. Des Adelsgeschlechts, als dessen derzeitiger Chef jener Ernst-August fungiert, der als »Prügel- und Pinkelprinz« unrühmliche Schlagzeilen machte. Dem Status eines »königlichen Empfangsbahnhofes« angemessen, gestaltete Hase das Bauwerk aufwendig, ja üppig mit Elementen mittelalterlicher Backsteinromanik und -gotik. Ziersäulen, Rosetten und Türmchen unterstreichen die besondere Stellung des Gemäuers; mit ihm besitzt Nordstemmen ein Zeugnis des romantischen Historismus - und möchte es auch behalten.
Die Eigentümerin denkt anders. Sie schloss den Bahnhof 1975, seither geht es mit ihm bergab. Bemühungen, ihn zu restaurieren, hat es gegeben. Ein Investor war interessiert, zumal Zuschüsse von Bund und Land winkten. Doch die Verhandlungen mit der Bahn scheiterten. Nun droht die Abrissbirne.
Ob die Bahn diese tatsächlich schwingen lassen darf, ist jedoch noch offen. Zwar ist zum Abbruch nur die Genehmigung des Eisenbahnbundesamtes im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens nötig, aber: An ihm müssten sowohl die örtliche Denkmalschutzbehörde - der Landkreis Hildesheim - als auch das Landesamt für Denkmalschutz beteiligt werden. Beide Stellen, so erfuhr »nd« aus der Kreisverwaltung, würden einem Abriss »nach derzeitigem Kenntnisstand« nicht zustimmen. Dagegen wiederum könnte die Bahn klagen.
Gegen deren Pläne protestieren Bürgerinnen und Bürger derzeit allwöchentlich vor ihrem Bahnhof. Sie fordern auf Plakaten und Shirts: »Sanierung jetzt - rettet den Bahnhof!«
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