Verrückter Christ

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 2 Min.

George Washington war es, Franklin Delano Roosevelt war es ... und neun weitere Präsidenten der Vereinigten Staaten waren es ebenfalls: Mitglied der US-Episkopalkirche. Bedenkt man, dass mit 1,8 Millionen Mitgliedern gerade einmal ein gutes halbes Prozent der US-Amerikaner dieser Kirche angehören, illustriert diese präsidiale Überrepräsentation Tradition und Einfluss.

Jetzt schließt die zur anglikanischen Weltgemeinschaft gehörende Kirche in einer anderen Hinsicht zum derzeitigen 44. Präsidenten auf: Mit Michael Curry wurde der erste Afroamerikaner in der Geschichte der überwiegend weißen Glaubensgemeinschaft als leitender Bischof eingeführt.

Dass für den 62-Jährigen, wie er bei der Zeremonie betonte, die »Versöhnung der Rassen« wichtig ist, verwundert nicht. Zugleich gibt es aber keine besondere Nähe mehr zum Establishment, wie Currys Vorgängerin, Katharine Jefferts Schori, der »Washington Post« versicherte. Es gehe in der kirchlichen Arbeit vor allem um »die Menschen an den Rändern«, so die Bischöfin, die als erste Frau neun Jahre lang an der Spitze der klerikalen Hierarchie stand.

Doch während eine Frau oder ein Schwarzer bei den Anglikanern gottlob nicht mehr für Aufregung sorgen, schlug 2003 die Bischofsweihe eines in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebenden Geistlichen recht ordentliche Wellen. Im Gefolge dieser Personalie spalteten sich immerhin fünf Diözesen ab.

Im Juli dieses Jahres hat die US-Episkopalkirche sogar mit überwältigender Mehrheit beschlossen, die kirchliche Trauung von zwei Partnern gleichen Geschlechts zuzulassen. Was selbst innerhalb der anglikanischen Weltgemeinschaft als verrückt gilt, ist erklärter Führungskurs von Michael Curry. Denn, so das Credo des bisherigen Bischofs der Diözese North Carolina, Menschen müssen ihre Positionen ständig überprüfen, bedenken und gegebenenfalls verrücken, damit sie ins Heutige passen. Ein von ihm verfasstes Buch trägt denn auch den beziehungsreichen Titel »Verrückte Christen - Eine Aufforderung, Jesus zu folgen«.

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