Markus Wolf nannte sie einen »weißen Raben«
Klaus Eichner schrieb ein Buch über Gabriele Gast, HVA-Spionin im Bundesnachrichtendienst
Was wäre gewesen, wenn die ehemals leitende Regierungsdirektorin des Bundesnachrichtendienstes (BND) Dr. Gabriele Gast nicht in Remscheid, sondern in Chemnitz aufgewachsen wäre? Die Antwort gab die Jahrhundertspionin in einem Brief im Juli 1999. Den sandte sie an den ehemaligen Analytiker der Spionageabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Klaus Eichner, der Auszüge daraus in seinem neuen Buch publiziert. Ihre Antwort: »In der DDR wäre ich eine Bürgerbewegte geworden, wäre angesichts der Missstände mit den Ritualen der Selbstbeweihräucherung über Kreuz gekommen.« Nun - es ist anders gekommen.
Recherchen für ihre Doktorarbeit führten die 25-jährige Gabriele Gast von Aachen über die Mauer nach Karl-Marx-Stadt. Dort lernte sie die Führungscrew der Außenstelle des DDR-Auslandsnachrichtendienstes kennen: Egon Lorenz, Gotthard Schramm und vor allem ihren späteren Vertrauten, der sich als Karl-Heinz Schneider vorstellte. Daraus entstand alsbald eine ideologische Bande, die auch noch hielt, als sie fünf Jahre später in den Bundesnachrichtendienst eintrat.
Was Gabriele Gast dort operativ leistete, will Eichner aufzeigen. Er würdigt sie als eine der »wichtigsten Quellen« der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), verschweigt Ambivalenzen jedoch nicht. Nach ihrer Enttarnung 1990 kühlten sich ihre Beziehungen zu Lorenz und Schramm in Folge von deren Aussageverhalten bei den Gerichtsverhandlungen deutlich ab; Schneider hatte bereits zuvor seinen Kredit bei ihr verspielt, zuletzt vollends wegen seiner ausbleibenden Unterstützung während ihrer Untersuchungshaft. Operative Ungeschicklichkeiten hatten aber auch schon während der Kooperation das Verhältnis getrübt. Was letztlich blieb, war neben dem Festhalten an den Idealen, die Gabriele Gast zur risikoreichen Spionagearbeit geführt hatten, zunächst noch der Draht zu HVA-Chef Markus Wolf - bis auch dieser riss. In dem von Eichner in seinem Buch nachgedruckten Interview des »Neuen Deutschland« beklagte Gabriele Gast Wolfs »geschönte Selbstdarstellung« und den Eindruck, von ihm zum »politischen Deppen abgestempelt« worden zu sein. Sie fühlte sich von jenem »persönlich missbraucht« und »für seine persönlichen Interessen benutzt«. Für Wolf war die »Top-Spionin« hingegen ein »weißer Rabe«.
Vieles ist aus der nach wie vor empfehlenswerte Biografie von Gabriele Gast »Kundschafterin des Friedens. 17 Jahre Topspionin beim BND« (1999) bekannt. Neu sind die hier abgedruckten Briefe. Man hätte sich von Eichner, der die von ihr operativ beschafften Informationen für die DDR-Auslandsspionage auszuwerten und aufzubereiten hatte, konkretere Beispiele gewünscht, die ihre Rolle als »Kundschafterin des Friedens« belegen. Gabriele Gast selbst wertet den Tipp bezüglich der drohenden Verhaftung eines in die Bundesrepublik einreisenden KGB-Offiziers als »wichtigste und wertvollste Information«, die sie der HVA zuspielte. Für Eichner hingegen sind es eher diverse Lageberichte, die Aufschluss über BND-Quellen in der DDR boten oder hätten bieten können.
In den Stasi-Unterlagen sind von »Gisela«, so der eigentliche Deckname von Gabriele Gast, 1094 operativ beschaffte Informationen politischen wie militärischen Charakters unter dem Code »Gerald« verzeichnet. Darüber hinaus wurden für sie aus internen Tarnungsgründen auch noch unter der Bezeichnung »Denkmal« 6054 Angaben eingetragen, die erheblichen Aufschluss über das BND-Personal gaben. Diese beachtliche Leistung betrifft allein die Jahre 1980 bis 1989, als sie bei der HVA-Zentrale in Berlin erfasst war. Aus ihrer Zeit unter Karl-Marx-Städter Führung sind 668 Informationen mit gleichfalls überwiegend nachrichtendienstlichen Charakter überliefert. Das erwähnt Eichner indes nicht.
Das Buch über Gabriele Gast ist der bereits fünfte Band der erhellenden, informativen Reihe des Verlages Edition Ost, die HVA-Spione vorstellt.
Klaus Eichner: Agentin in der BND-Zentrale. Gabriele Gast im westdeutschen Spionagezentrum. Edition Ost, Berlin 2015. 253 S., br., 14,99 €.
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