Bundestag stimmt für Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe
Antrag von SPD/CDU - Abgeordneten in zweiter Lesung angenommen / Gegner des Gesetzes: Ärzte werden kriminalisiert / Verein Sterbehilfe Deutschland kündigt Verfassungsbeschwerde an
Berlin. Geschäftsmäßige Sterbehilfe ist in Deutschland künftig verboten. Einen entsprechenden Gesetzentwurf beschloss der Bundestag am Freitag. Der Verbotsantrag, der von einer Abgeordnetengruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) vorgelegt worden war, erhielt in der Schlussabstimmung 360 von 602 abgegebenen Stimmen. Mit Nein votierten 233 Parlamentarier, 9 Abgeordnete enthielten sich.
Drei alternative Gesetzentwürfe für eine Neuregelung der Sterbehilfe waren bereits in einer Vorabstimmung gescheitert. Mehrere Abgeordnete plädierten erfolglos dafür, auf eine Neuregelung ganz zu verzichten.
Vereine oder Einzelpersonen dürfen künftig keine Beihilfe zum Suizid als Dienstleistung anbieten. Es drohen bis zu drei Jahre Haft, wenn einem Sterbewilligen, etwa einem unheilbar Krebskranken, geschäftsmäßig ein tödliches Medikament gewährt wird. Kritiker hatten vor einer Kriminalisierung von Ärzten und einer Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen gewarnt.
Der Abstimmung über die Fraktionsgrenzen hinweg ging eine eindringliche Debatte voraus. Sie markiert das Ende einer einjährigen Meinungsbildung über die heikle Gewissensfrage im Parlament und in der Öffentlichkeit.
Opposition gegen das von der Regierung beschlossene Gesetz
Wolfgang Gehrke, Mitglied des Bundestags, die LINKE, lässt über die sozialen Netzwerke verlautbaren: »Abstimmungsergebnis: Deutschland driftet in einen reaktionären Klerikalismus.« Und auch Karl Lauterbach, Medizinier und Mitglied des Bundestags, SPD, ist überzeugt: »Leider haben wir im Bundestag bei der Sterbehilfe gegen Mehrheit der Bürger und Ärzte abgestimmt.«
»Schlag gegen die Selbstbestimmung«
Als einen »Schlag gegen die Selbstbestimmung am Lebensende, den Willen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sowie die Gewissensfreiheit und Rechtssicherheit von Ärzten« hat Erwin Kress, Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, das Ergebnis der heutigen Abstimmung im Deutschen Bundestag über Gesetzentwürfe zur Suizidbeihilfe bezeichnet. »Mit dem neuen Gesetz stehen alle Menschen in Deutschland, die im schlimmsten Fall nicht bis zum bitteren Ende ausharren wollen, schlechter da als bislang. Klug und human wäre es gewesen, die bisherige Straffreiheit beizubehalten«, so Kress.
Auch der Verein Vereins DIGNITAS - Menschenwürdig leben - Menschenwürdig sterben lehnt den Beschluss ab. Die Entscheidung des Bundestags, die Frage der Beihilfe zum Suizid als Form der Sterbehilfe nach dem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag Brand/Griese mit strafrechtlichen Mitteln zu regeln, verstösst sowohl gegen das Grundgesetz als auch die Europäische Menschenrechtskonvention. DIGNITAS ruft deshalb den deutschen Bundespräsidenten auf, dem von ihm verkündeten Prinzip von Freiheit und Verantwortung zu folgen und dem Gesetz seine Zustimmung zu verweigern. Sollte er es in Verletzung des Grundgesetzes und seines Amtseids dennoch unterzeichnen, wird DIGNITAS diese gegen den Willen einer Mehrheit von über 80 % der Bevölkerung getroffene und somit undemokratische Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anfechten.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Strafrecht schafft keinen gesellschaftlichen Konsens
»Das Strafrecht ist kein Mittel, um einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen. Verzweifelte Menschen in großer seelischer oder körperlicher Not benötigen menschliche Zuwendung und die bestmögliche medizinische Versorgung. Ärzte und Pflegepersonal brauchen Rechtssicherheit und dürfen nicht durch Rechtsunsicherheit oder drohende Kriminalisierung in ihrer Unterstützung behindert werden.
Die neuen Regelungen zur Sterbehilfe werden leider nur Verunsicherung schaffen, weil in der existentiell schwierigsten Situation künftig das Damoklesschwert des Strafrechts schwebt. Ärzten, Patienten und Angehörigen bürdet das neue Gesetz in der ohnehin schon schweren Situation unnötige Rechtsunsicherheiten auf.
Leider ist es künftig für den Arzt kaum noch möglich, straffrei Suizidbeihilfe zu praktizieren, um so den Willen des Patienten in seiner letzten Lebensphase umzusetzen. Es ist ausgesprochen problematisch, dass nun Ärzte und Patienten in eine derart dramatische Lage gebracht werden.
Wenn ein Mensch die reflektierte und endgültige Entscheidung zur Beendigung seines Lebens trifft, sollte das respektiert werden. Selbstbestimmung und die Unantastbarkeit der Menschenwürde sind Werte, die auch im letzten Lebensabschnitt gelten müssen.
Der Bundestag kann die schwierigsten ethischen Fragen, die unsere Gesellschaft kennt, nicht einfach mit Mehrheit beantworten. Die Debatte wird damit längst nicht beendet sein.«
Bundesärztekammer begrüßt Gesetzentwurf
Etwas positiver äußerte sich der Präsiden der Bundesärztekammer Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery: »Die Ärzteschaft hat von Anfang an unmissverständlich klargestellt, dass die Tötung des Patienten, auch wenn sie auf dessen Verlangen erfolgt, sowie die Beihilfe zum Suizid nach den Berufsordnungen aller Ärztekammern in Deutschland nicht zu den Aufgaben des Arztes gehören. Wir begrüßen es deshalb sehr, dass der Deutsche Bundestag den Anträgen einiger Parlamentarier für eine Liberalisierung der Sterbehilfegesetzgebung nicht gefolgt ist. Eine gute Nachricht ist es auch, dass der Gesetzgeber der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, also sogenannten Sterbehilfevereinen, nun endlich einen Riegel vorgeschoben hat. Die Neuregelung wird nicht dazu führen, Ärztinnen und Ärzte zu kriminalisieren, wie dies von den Gegnern des Entwurfs im Vorfeld der Abstimmung behauptet wurde. Nach eingehender inhaltlicher und rechtlicher Prüfung kann die Bundesärztekammer keine Gefahr der Kriminalisierung der Ärzteschaft erkennen. Besonders wichtig ist, dass die Sterbehilfedebatte der vergangenen Monate mit dazu beigetragen hat, den Blick der Menschen auf die vielfältigen Möglichkeiten der Palliativmedizin und der Hospizarbeit zu schärfen. Damit haben wir viel erreicht.«
Verein Sterbehilfe Deutschland kündigt Verfassungsbeschwerde an
Nach dem Beschluss des Bundestages zum Verbot organisierter Sterbehilfe hat der Verein Sterbehilfe Deutschland eine Verfassungsbeschwerde angekündigt. »Nach Inkrafttreten des Gesetzes werden wir Verfassungsbeschwerde erheben«, sagte Marie-Claire Stellmann, Leiterin der Geschäftsstelle des Vereins, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Freitag. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, werde der Verein keine Suizidbegleitung mehr anbieten: »Wir werden gesetzestreu handeln.«
Agenturen/nd
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