Der Vater des erschossenen Faschisten
Martin Leidenfrost besuchte in Athen einen Abgeordneten der griechischen »Goldenen Morgenröte«
Wenn du zu einem Vater gehst, dem Unbekannte den Sohn erschossen haben, dann fällt das nicht leicht. Wenn du dir dabei aber auch noch denkst, war wohl nicht schade um den Jungen, er war offenbar Mitglied eines faschistischen Sturmtrupps - dann wird das ein richtig schwerer Gang. Gerade deswegen verabrede ich mich mit Lampros Fountoulis, 54. Vor zwei Jahren wurde der linke griechische Rapper Pavlos Fyssas von einem bekennenden Anhänger der »Goldenen Morgenröte« erstochen. Am 1. November 2013 folgte vor einem Büro dieser Partei die Vergeltung. Fountoulis’ Sohn Giorgos, 27, und ein weiterer Aktivist wurden erschossen. Ein dritter wurde verletzt, der vierte konnte flüchten. 2014 wurde Lampros Fountoulis für die »Goldene Morgenröte« ins Europaparlament gewählt.
Er bestellt mich in Athens Norden. Ich stehe zu früh vor dem schäbigen Büroblock, schon erwartet mich ein junger Bärtiger im Lift. Tiefe Augenhöhlen, hager, stumm. Wir betreten die Bürogemeinschaft, die auch die anderen EU-Abgeordneten der Partei nutzen, zwei Generäle. Von Fountoulis’ sechs Assistenten ist noch eine Dicke mit dick aufgetragenem Make-up da. Da die Partei als »kriminelle Organisation« angeklagt ist, wird sie von der Polizei nicht geschützt. Fountoulis erzählt, das Büro habe an Heiligabend eine Gasbombe abgekriegt, »die eingeschlagenen Fensterscheiben wechseln wir nicht mehr aus.« Das Büro ist fast leer. »Niemand kommt her, die Leute haben Angst.«
Dann sitze ich beim Vater des Erschossenen im Büro. Er raucht viel. Er war bei der Post, neun Jahre draußen, dann Pakete im Innendienst. »Unglaublich«, sagt er, »ich habe immer links gewählt, erst Pasok, dann SYRIZA.« 2012 begann er die »Goldene Morgenröte« zu wählen, parallel zum Engagement seines arbeitslosen Sohnes, »weil das keine Diebe sind«. Sein Sohn habe ihm versichert: »Wir wollen keine Einwanderer, aber wir bringen sie nicht um.«
Es folgt, was folgen muss: Er bestreitet den faschistischen Charakter der Partei. Der Fyssas-Mörder sei bei der kommunistischen Gewerkschaft gewesen, hinter der Mordserie stecke die damalige Regierung, und das frappant dem Hakenkreuz ähnelnde Parteisymbol habe eine ganz andere Geschichte. Ich blicke auf ein gerahmtes Foto seines Sohnes, muskulös im Morgenröte-T-Shirt, geschoren. Als gelernter Physiotherapeut habe der »friedliche Junge« Muskelkraft gebraucht, erklärt der Vater, die Haare seien ihm aufgrund der Belastung durch seine Arbeitslosigkeit ausgefallen. »Er ist ein guter Junge mit einem goldenen Herzen.« Giorgos habe gratis Behinderte behandelt, habe Pasta und Reis für arme griechische Familien gesammelt.
Es folgt etwas Schlimmeres - der ernste einfache Mann im blauen Strickpulli wird mir sympathisch. Ich glaube ihm, dass er den Vater des erstochenen Rappers zu einem gemeinsamen Aufruf gegen Gewalt einlud. Ich glaube ihm, dass er kein Faschist ist. Der »Goldenen Morgenröte« glaube ich das nicht.
Einige Male rührt mich der trauernde Vater sogar. Giorgos bekam ausgerechnet an seinem Todestag die Zusage für einen Supermarktjob - vom dritten Mann, den der unerkannte Täter zum Krüppel schoss. »Ich ekle mich vor Politik«, sagt er, »meine Frau hatte die Idee, dass ich kandidiere. Ich war ein Idol für meinen Sohn, nun ist er ein Idol für mich.« In Brüssel sei er den ganzen Tag im Parlament. »In Brüssel ist es besser. Weil man frei sprechen kann.«
Der von der EU bezahlte Assistent bringt mich hinaus. Ich weiß nun, dass er der vierte Mann ist; der einzige, der den Schüssen entkam. Zwar sehe ich anderswo in Athen ein Riesenposter der »Goldenen Morgenröte«, das die Erschossenen als Märtyrer zeigt. Zwar begegnet mir in einem Athener Nachtzug ein 50-jähriger Remigrant, der in Bonner Imbissbuden gearbeitet hat und alle 300 Abgeordneten des griechischen Parlaments als »Verräter« bezeichnet. »Ich bin bei einer neuen Partei, Ethnos. Vor zweieinhalb Jahren sind wir bewaffnet ausgerückt, über 100 Mann, um alle 300 Abgeordneten zu erschießen.« Wegen einem einzigen Polizisten am falschen Ort hätten sie die Aktion abgeblasen.
Und doch kommen mir die düsteren Begegnungen an meinen Athener Tagen immer unwirklicher vor. Griechenland wird eine Pauperisierung angetan, wie man sie nur aus Kriegszeiten kennt. Durch die engen sonnigen Straßen gehend, erstaunt mich etwas noch mehr als der griechische Faschismus: die Zärtlichkeit, die Freundlichkeit im öffentlichen Leben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.