Sommer und Sonntag

Karl-Heinz Jakobs tot

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Frühling ist Werden, Herbst Vergehen. Bewegung also. Dazwischen steht der Sommer, er steht wirklich, unter der Wucht der Sonne. Die Welt findet draußen statt, außerhalb der Mauern, und aller Stillstand, zu dem die Hitze unbedingt rät, ist für kurze Zeit - schön. »Beschreibung eines Sommers« hieß der Erfolgsroman von Karl-Heinz Jakobs, auch im Kino ein Magnet, mit Manfred Krug, Christel Bodenstein. Ralf Kirstens DEFA-Film, Anfang der Sechziger, wirkt im Nachhinein - nicht nur durch den Hauptdarsteller - wie ein Vorgänger von »Spur der Steine«. Das Rebellische, die Flucht aus den Ordnungsritualen, die Störungslust wider allen parteigrauen Disziplinierungseifer. Literatur und Zensur? Das ging. Das ging durch. Das ging gut.

Der 1929 im ostpreußischen Kiauken Geborene schuf in seinen Romanen (»Eine Pyramide für mich«, »Die Interviewer«) sympathische Porträts fragender Protagonisten des Aufbaus. Die aus melancholischer, kritischer Erinnerung doch neue Kraft gewannen. Das Kollektive als Traum - und Täuschung. Doch ohne Täuschung - man mag sie Sozialismus nennen - würden wir im Leben durchfallen. Wohin wir da fielen, dafür wäre jeder Name zu schön. Also täuschen wir uns weiter im Gutgemeinten. So war das damals, und Jakobs’ lockere wie listige, fabulierende wie reportierende Prosa schrieb auch an dieser Wahrheit mit: Wo das Kommende sich laut ansagt, wächst das Verschwiegene. Der Schriftsteller selber mochte nicht schweigen, als 1976 Wolf Biermann mit finsterster deutscher Tradition belegt wurde: Ausbürgerung. Die SED entfernte Jakob aus ihren Reihen, 1979 gehörte er zu den neun Autoren, mit deren Ausschluss der Schriftstellerverband an sich selber testete, wie viel Schande man als politische Notwehr verkaufen konnte. Die Schande klebt und klebt.

Erstaunliches dann, als die Mauer fiel und der seit 1981 im Westen lebende Jakobs ausgerechnet das ND zur Schreibstätte erkor. Die »Sonntagsgeschichte« wurde jahrelanger Platz für neue deutsche Literatur, Jakobs wählte aus, interviewte die Autoren. Zeitung geradezu großartig zweckentfremdet, die Sprache inselfroh inmitten der üblichen Buchstabensuppe. Eine geistvolle Einmaligkeit - in Zeiten, da schon das kleine Gedicht, das sich ohnehin duckt, kaum mehr Chancen hat, aus Zeitungsspalten zu blühen.

»Welcher Teufel hat Sie geritten, sich nach all dem, was die stalinistische Kulturbürokratie der DDR Ihnen angetan hat, der Kulturredaktion des ›Neuen Deutschland‹ als freiwilliger Helfer anzudienen?«, schrieb Schriftstellerkollege Hans Christoph Buch 1990 in einem Offenen Brief in der FAZ. Hatte der Beton die Köpfe gewechselt? Wo ein DDR-Dissident den Mauerfall ernst nahm, beharrten andere auf den Dauerfall der Abgrenzung. Wo doch Jakobs selber keinesfalls vergaß. »Es dauerte nach der Wende lange, bis ich Ekel und Verachtung so weit überwunden hatte, dass ich zu einer Rundreise durch die DDR imstande war.«

Karl-Heinz Jakobs, am Mittwoch im nordrheinwestfälischen Velbert gestorben, wurde 86 Jahre alt. Auf ihn traf zu, was er über den Dichter Paul Zech schrieb: »kein Kerl aus einem Guss, ein Zersplitterter«.

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