Der Klang im Weinberg
Neuer Konzertsaal im Kulturpalast nimmt Gestalt an / Sanierung im März 2017 beendet
Zwei Sessel für Zuhörer gibt es schon. Es sind zwei von 1785. Die Sitzmöbel stehen freilich noch nicht im künftigen Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes, in dem sich Baugerüste unter Decken aus rohem Beton türmen. Aufgestellt sind sie vielmehr in der Ecke eines späteren Foyers. Über ihnen wölbt sich bereits ein Stück Saaldecke aus schneeweißen, gipsernen Rhomben; hinter den Lehnen fällt dezentes Licht auf Wände, die mit Roteiche verkleidet sind. Der »Weinberg« - er hat begonnen zu wachsen.
Als »Weinberg« wird unter Architekten eine spezielle Form des Konzertsaals bezeichnet, bei der sich die Zuschauerränge in Terrassen rund um die mittig platzierten Musiker erheben. »Das Publikum umfängt das Orchester«, formuliert Stephan Schütz vom Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner, das den Umbau des Kulturpalastes geplant hat. Berühmte Konzertsäle in dieser Form gibt es in der Berliner Philharmonie und im Gewandhaus Leipzig. In dieser Liga, sagt Margriet Lautenbach von dem für den Klang zuständigen holländischen Büro Peutz, werde der Kulturpalast in Zukunft spielen. Frauke Roth, Intendantin der Dresdner Philharmonie, schwärmt schon von einem »Saal, der international für Furore sorgen wird«.
Es sind euphorische Töne, denen freilich laute Dissonanzen vorangingen. Nachdem die Stadt 2008 beschlossen hatte, den 1969 eröffneten Kulturbau zu sanieren, gab es vor allem um einen Punkt erbitterten Streit: den Umbau des Saales. Dieser hatte fast ein halbes Jahrhundert lang nicht nur klassische Konzerte beherbergt, sondern auch die so genannte leichte Muse: Auftritte von Rock- und Schlagerstars, Aufführungen von Musicals und opulenten Shows. Freilich: Klassikfreunde und Musiker hatten stets über den unschönen Klang geklagt. In einem speziellen Konzertsaal sollten ihre Wünsche besser berücksichtigt werden - allerdings, so sagten Kritiker, würde die Unterhaltungsmusik verdrängt. Wolfgang Hänsch, der Architekt des Kulturpalastes, war sogar vor Gericht gezogen, weil er sein Urheberrecht verletzt sah. Im November 2012 hatte das Dresdner Oberlandesgericht seine Klage abgewiesen; zehn Monate später verstarb er.
Inzwischen hoffen Kulturpolitiker, dass vom Ergebnis des Umbaus viele Bürger angetan sind: »Der Kulturpalast muss versöhnen, nicht spalten«, sagt Annekatrin Klepsch (LINKE), die neue Kulturbürgermeisterin. Hänschs Nachfolger zollen derweil dessen Arbeit demonstrativ höchsten Respekt: Der Kulturpalast gehöre, sagt Schütz, »zu den Inkunabeln der Nachkriegsmoderne in der DDR und in Deutschland insgesamt«. Die Planer betonen, dass der Bau insgesamt weitgehend im Original erhalten bleibe: »Im Foyer werden sich die Dresdner zu Hause fühlen«, sagt Projektleiter Thomas Platz von der Stadttochter Kommunale Immobilien Dresden. Für die Gestaltung der Decken etwa hat man alte Formen ausgegraben; auch Lampen und Geländer werden den Originalen weitgehend nachempfunden.
Beim Saal aber seien Veränderungen unumgänglich gewesen, sagt Architekt Schütz: »Er war viel zu breit für Konzerte.« Damit fehle die Reflexion des Schalls von den Seiten, die aber wichtig sei, wenn sich die Zuhörer »von der Musik umspült« fühlen sollen, sagt Akustikexpertin Lautenbach. Das holländische Büro hat mit komplizierten Berechnungen und dem Nachbau des Saals im Maßstab 1:10 die Vorgaben der Architekten weiter optimiert. Der neue Saal misst an der breitesten Stelle nur noch 43 Meter; im Parkett ist er noch deutlich enger, was den Klang verfeinert. Vielleicht, so hofft man im Rathaus, überzeugt das Ergebnis auch die Verantwortlichen bei der Dresdner Staatskapelle, die zuletzt nur noch in der Semperoper konzertierte. Eine Rückkehr für einzelne Konzerte, sagt Intendantin Roth, wünsche sie sich.
Auch wenn es nicht dazu kommt - neue Nutzer wird der Kulturpalast in jedem Fall haben: Neben dem Kabarett »Herkuleskeule« zieht auch die Stadtbibliothek ein und sorgt dafür, dass der Bau nach der Sanierung auch am Tag belebt sein wird. Das wird ab Ende März 2017 der Fall sein. Die Arbeiten lägen »im Plan«, beteuern die Verantwortlichen. Und mit dem Budget von 80 Millionen Euro kommen sie nach jetzigem Stand auch aus.
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