Angriff auf die »Älteste Tochter der Kirche«
Das Massaker von Paris wirft auch düstere Schatten auf das fragile Verhältnis zwischen Christen und Muslimen
Die grausame Ironie des jüngsten Massakers islamistischer Schlächter ist, das es in dem Land erfolgte, dessen stolzer Ehrenname »Älteste Tochter der katholischen Kirche« die Jahrhunderte bis heute überdauerte. Als der Merowinger-König Chlodwig I., der durch seine Konversion zum Katholizismus das Frankenreich als erstes Staatsgebiet diesem Glaubenssystem zugeführt hatte, im Jahre 511 starb, war der Erfinder und Begründer des Islams, Mohammed (570/73-632), noch nicht einmal geboren.
Paris, die Stadt, die in diesem Jahr zum zweiten Mal in Trauer versinkt, war Heinrich von Navarra immerhin »eine Messe wert«, als er 1593 zum Katholizismus wechselte, um hernach als Heinrich IV. den Bourbonen-Thron besteigen zu können. Als im Herzen dieser Kernmetropole des christlichen Abendlandes unter den Rufen »Allahu Akbar« (Gott ist groß) von bigotten Eiferern die von ihnen als Tempel des Hedonismus und der Dekadenz verteufelten Orte gestürmt wurden, erinnerte das an die Bartholomäusnacht vom 23. zum 24. August 1572. Die Hochzeit des Noch- Protestanten Heinrich mit der Katholikin Margarete von Valois sollte eigentlich der konfessionellen Versöhnung dienen. Margaretes Mutter Katharina von Medici nutzte indes das Ereignis, um Tausende Pariser Protestanten abschlachten zu lassen.
Der fragile Firnis falscher Frömmigkeit löste sich vollends, als im nachfolgenden Jahrhundert dreißig Jahre lang der Kontinent von miteinander verfeindeten Christen verwüstet und seine Bewohner hemmungslos dezimiert wurden.
Während die innerchristlichen Auseinandersetzungen heute weitgehend auf einem domestizierten und zivilisierten Niveau ausgetragen werden, ist der alte Konflikt zwischen Christentum und Islam zu einem prägenden politischen Fatum dieses Jahrhunderts arriviert.
Dabei ist der Gott, unter dessen Anrufung die Killer im Pariser Konzertsaal Bataclan unschuldige Menschen massakrierten, angeblich derselbe, dessen Angesicht auch über Christen und Juden leuchtet.
Zudem hatte sich der Islam, als letzte der drei bedeutendsten monotheistischen Religionen entstanden, großzügig aus dem Fundus des Christentums bedient - wie es das Christentum beim Judentum und dieses wieder bei noch älteren Glaubenssystemen getan hatte. Der Anspruch Mohammeds und seiner Männer, die ureigentliche Religion, den Gottglauben avant la lettre sozusagen, kreiert zu haben, wurde mit einer quasi rückwärts laufenden Chronologie begründet, die den Konflikt mit den bereits existenten abrahamitischen Religionen programmierte. Die im Gefolge der islamischen Expansion von der römischen Kirche organisierten Kreuzzüge gelten bis heute als Initialzündung christlich-muslimischer Feindschaft. Versuche, die zweifellos existente Schuld, aber die ebenso zweifellos sehr einseitige Zuweisung dieser an die christliche Seite zu differenzieren, wie es der US-amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark in seinem Buch »Gottes Krieger« tut, sind indes selten.
Die Konkurrenzlage von zwei großen, missionierenden Monotheismen (das Judentum missioniert nicht) wurde vor allem dadurch verschärft, dass beide Seiten ihre Propagandafeldzüge mit solchen des Militärs koppelten. Woran übrigens das bei Katholiken beliebte Rosenkranzgebet erinnert. Dieses ist historisch weit mehr als frommes Gemurmel und Perlenzählen: Der endgültige Durchbruch der Rosenkranzfrömmigkeit wird auf den 7. Oktober 1571 datiert, weshalb alljährlich an diesem Datum von der katholischen Kirche das Rosenkranzfest begangen wird. Am 7. Oktober 1571 fand im Golf von Lepanto die Entscheidungsschlacht zwischen der osmanisch-muslimischen Mittelmeerflotte von Sultan Selim II. und der katholischen Seestreitmacht unter Papst Pius V. statt - geführt von Juan de Austria, Stiefbruder des spanischen Königs. Sie endete mit einem fulminanten Sieg über Selim II., was die Gewinner umgehend als Erhörung intensiven Rosenkranzbetens interpretierten.
Ungeachtet des Schwindens konfessioneller Bindungen in den traditionell christlichen Ländern geht die religiöse »Aufteilung« der Welt auch im 21. Jahrhundert weiter und bestätigt damit die Prophezeiung von André Malraux, es »wird ein Jahrhundert der Religion sein, oder es wird nicht sein«. Dabei hat sich die christlich-islamische Rivalität zunehmend auf den afrikanischen Kontinent verlagert, wo das ohnehin im Übermaß angehäufte sozial-ökonomisch-politisch-ethnische Konfliktpotenzial zusätzlich aufgeladen wird und immer wieder zu blutigen Ereignissen und gar Kriegen führt. Aber auch die durch muslimische Zuwanderung in die »entkirchlichten« Zonen Europas sich mit - sozusagen gegengepolter - Religion wiederaufladenden Gebiete stellen für die (vor allem katholische) Kirche eine Herausforderung dar.
Papst Benedikt XVI. hatte deshalb 2010 sogar ein vatikanisches Ministerium zur Neuverkündigung der christlichen Botschaft in verweltlichten Ländern gegründet. Dieser »Päpstliche Rat zur Förderung der Neuevangelisierung« sollte Wege und Mittel erarbeiten und einleiten, wie das Evangelium in den säkularisierten Ländern wieder stärker verwurzelt werden könne.
Was den notwendigen Dialog mit dem Islam betrifft, hatte der 2013 als Papst zurückgetretene Joseph Ratzinger eine eher unglückliche Hand. Seine bereits im zweiten Pontifikatsjahr gehaltene Regensburger Rede belastete das vom Vorgänger Johannes Paul II. nach 9/11 sorgsam errichtete, diffizile diplomatische Gefüge des christlich-islamischen Dialogs. Sicher: Das Zitieren eines byzantinischen Kaisers, der sich unfreundlich über den Propheten Mohammed äußerte, rechtfertigte auch nicht ansatzweise die Protest- und Gewaltwelle, die daraufhin in der islamischen Welt losbrach. Ebenso wenig, wie der sogenannte Karikaturenstreit ein Jahr zuvor die ihm folgenden Hassausbrüche legitimierte. Aber Benedikt hätte als Papst wissen müssen, wie dünn und zerbrechlich religiöses Porzellan ist. Weder Benedikts Türkei-Reise Ende 2006 noch die Intensivierung des katholisch-islamischen Dialogs hatten den seitens des Vatikans als unglückseligen Fauxpas heruntergespielten Vorfall in der islamischen Welt in Vergessenheit geraten lassen.
Eine Erfahrung, die sich Benedikts in praktischer Politik erprobterer Nachfolger Franziskus offenbar zu Herzen und in seine politische Agenda genommen hat. Betrachtet man die Verlautbarungen, Äußerungen und Aktivitäten des ehemaligen Erzbischofs von Buenos Aires, kann man den Eindruck gewinnen, er sei angetreten, das Image der Religion Mohammeds in Glanz und Güte aufzupolieren. Oder, wie domradio.de anlässlich der Türkei-Reise vor einem Jahr schrieb, als »neuer Gärtner« das »zarte Gewächs« des Dialogs zwischen katholischer Kirche und Islam eifrig zu »begießen«. Auffallend häufig, herzlich und offen - so domradio.de - habe sich der Papst an die Muslime gewandt. Und das »in einer Zeit, in der im Nahen Osten Kirchen brennen, Priester und Bischöfe entführt und ermordet werden und die uralten christlichen Gemeinschaften der Region durch den Exodus ihrer Mitglieder langsam ausbluten«.
Im 2013 verfassten Apostolischen Schreiben »Evangelii gaudium« ersuchte Franziskus die islamischen Länder »demütig«, den Christen Freiheit zu gewähren. Er unterstrich seine »Zuneigung zu den authentischen Anhängern des Islam« und gab sich gar als Erkenner des »wahren Islam«, weil der »jeder Gewalt« entgegenstehe. Der Papst folgt damit dem politischen Unterfangen, Islamismus und Islam zu trennen. Eine These, die den sozialen Frieden bewahren soll. Nach dem jüngsten Angriff auf die »Älteste Tochter der Kirche« wird sich zeigen, wie weit sie Bestand hat.
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