Bezahl mich durch die Blume

Über digitale Möglichkeiten, dem Stigma der Prostitution zu entkommen. Von Alexander Isele

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 8 Min.

Werbeplakate für alles, was auch nur entfernt mit Liebe, Lust und Erotik zu tun hat, gibt es in Berlin zuhauf. Neben diversen Langzeitpostern, die die neueste Generation an Sexspielzeug bewerben, den Weg zur nächsten Happy-End-Massage weisen oder direkt ins Bordell, fiel dieses Jahr besonders die Kampagne eines jungen Start-up-Unternehmens auf: »Nicht die Frau fürs Leben finden« stand diesen August auf vielen Plakaten. »Ohlala, die App für bezahlte Dates« ging in Deutschland an den Markt, natürlich zuerst in der größten Stadt des Landes.

Nun ist Escortservice keine neue Erfindung, bei diversen Agenturen kann man sich die Abendbegleitung nach eigenen Vorstellungen und Wünschen buchen. Ob der Abend dann mit einem Besuch im Theater, der Begleitung zu langweiligen Geschäftsessen oder im Bett eines Hotels endet, wird bei der Buchung mit der Agentur abgeklärt und entsprechend bezahlt.

Ohlala will aber mehr leisten als nur das Verkuppeln von Dates. Pia Poppenreiter, Gründerin des Unternehmens, möchte den Nutzern der App die Privatsphäre zurückgeben. Viele Menschen, mit denen Poppenreiter in dem Bereich gesprochen hat, haben ihr gegenüber immer wieder betont, wie sehr sie Angst davor haben, entdeckt zu werden. »Das Thema ist so sehr gesellschaftlich stigmatisiert, das zwingt viele, die in diesem Bereich tätig sind, ein Doppelleben zu führen, was als maßgeblich belastend empfunden wird.« Deswegen hat sich das Unternehmen entschieden, keine öffentlichen Profile anzulegen. »Wir wollen nicht, dass die Frauen sich zur Schau stellen und sich präsentieren müssen, sondern wir geben ihnen die Privatsphäre zurück.« Auch, indem das Unternehmen die App so konzipiert hat, dass es keinen Einblick in den Chatverlauf zwischen Käufern und Verkäufern von Dates gibt. Für Poppenreiter eine »private Sache, die niemanden etwas angeht außer den zwei Leuten, die sich im Chat verabreden«.

Die App funktioniert so: Sucht man ein Date, stellt man eine Buchungsanfrage, nennt Ort, Zeit und Dauer und formuliert in einem Freitext die eigenen Vorstellung zum Ablauf. Die Anfragen sind für die sichtbar, die sich für Dates bezahlen lassen. Wer bereit ist, auf dieses Date zu gehen, schaltet sein Profil frei und erst dann kann der Suchende es einsehen und per Chat Kontakt aufnehmen. Was da letztlich abgemacht wird, weiß das Unternehmen nicht. Auch ein Grund dafür, dass Pia Poppenreiter nichts von Prostitution hören will: »Es ist erstaunlich, dass viele Leute dem immer einen Namen geben wollen, es Prostitution nennen. Wir sehen das anders, für uns sind das bezahlte Dates, weil wir einfach nicht wissen, was auf den Dates passiert.«

Die Nachfrage nach bezahlten Dates ist groß. In neun Wochen gab es 12 000 Registrierungen und über 8000 Buchungsanfragen, 4000 der Männer sind aktiv auf der Suche nach den 1000 Frauen, die bezahlte Dates anbieten. Es gibt auch ein paar Männer, die sich bezahlen lassen dafür, auf ein Date mit Frauen zu gehen, aber der Anteil ist sehr gering.

Die 24-jährige Sarah geht auf bezahlte Dates, die sie über Ohlala findet. Auch wenn sie nebenher Vollzeit arbeitet, bezeichnet sie sich als Sexarbeiterin. Gelernt hat sie Rettungssanitäterin, mittlerweile ist sie für Ohlala tätig und betreut Neuanmeldungen von Frauen, die für Geld auf Dates gehen wollen. Ihre Grenzen zwischen Privat und Beruf sind fließend, und sie hat viel Spaß an ihrer Arbeit. Sex ist nur ein Teil davon, und oftmals ist es vor allem der besondere Einblick in die Lebensrealitäten anderer Menschen, der sie an den Dates reizt. Sie schätzt, dass ihre Arbeit zu circa 80 Prozent aus paartherapeutischen Komponenten besteht. Ehemänner fragen sie, wie sie ihre Frauen dazu kriegen, mal etwas anderes auszuprobieren. Kompetent fühlt sie sich bei ihren Antworten nicht unbedingt, aber es macht ihr Spaß: »Ich mach’ das super gerne. Vielleicht studiere ich irgendwann mal Sexualwissenschaften und werde Sexual- oder Paartherapeutin.«

In ihrer Arbeit sieht Sarah klare Elemente von sexualtherapeutischer Tätigkeit, was ihr gefällt: »Ich finde es einfach super spannend, wenn Männer mit meiner Hilfe Sachen ausprobieren, von denen sie schon ganz lange träumen, sich das aber noch nie getraut haben. Ich mag es, Leuten so zu helfen.« Bereits mit 14 Jahren hat sie das erste Mal gedacht, dass spannend sein könnte, zu bezahlten Dates zu gehen. Mit 17 las sie alles, was es zu dem Thema zu lesen gab, wie zum Beispiel »Fucking Berlin«, ein Buch über eine italienische Mathestudentin, die nach Berlin zum Studieren kam und sich mit bezahlten Dates ihr Leben finanzierte. Als sie mit Anfang 20 über eine Flirt-App ein »unmoralisches Angebot« bekam, flippte Sarah »fast aus, dass es endlich passiert«. Von ihr wichtigen Personen bekam sie Unterstützung, fühlte sich »empowert«, und nach einer Dreiviertelstunde war sie um 250 Euro reicher.

»Empowert« zu sein ist Sarah wichtig. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich intensiv auseinander, steht auf Fortbildungen Rede und Antwort zum Thema Sexarbeit, empfiehlt das Buch »Hure spielen: Die Arbeit der Sexarbeit« von Melissa Gira Grant, in dem diese Erlebnisse von Sexarbeiterinnen in den USA erzählt, wie diese im Fokus der Polizei stehen. Dank der liberalen Gesetze in Deutschland passiert ihr das hier nicht, allerdings kann Sarah es nicht glauben, dass 30 Jahre nach dem ersten »Hurenkongress« in Deutschland 1985 die Frage nach Moral mit der des Arbeitskampfs konkurriert, und Alice Schwarzer, CDU/CSU und die Grünen immer noch meinen, sie retten zu müssen: »Das ist so unfassbar regressiv und antifeministisch - das macht mich wütend!«

Ohlala ist nicht die einzige Plattform, die in Deutschland den Bereich der käuflichen Liebe erneuert hat. Seit 2004 gibt es die Seite gesext.de im Internet, über die Sexauktionen laufen. Ganz wie bei anderen Onlineauktionen stellt der Anbieter etwas ein, das dann von Bietern ersteigert werden kann. Sind es bei Ebay CDs oder Kleidungsstücke, so sind es bei gesext neben dem einen oder anderen getragenen Schlüpfer vor allem sexuelle Dienstleistungen.

Die Idee hatte Geschäftsführer Herbert Krauleidis nach einem Gespräch mit einer Bekannten, die frustriert von einem Date berichtete. Er wollte nur das Eine, ohne auf sie einzugehen, und am Ende musste sie selbst für das Essen bezahlen, worüber sie sehr enttäuscht war. Gesext soll eine andere Art von Treffen möglich machen. Im Text zur Auktion wird genau beschrieben, auf was man bieten kann, so dass es der Anbieter von Auktionen ist, der die eigenen Wünsche und Bedürfnisse erfüllt bekommt, und sich etwas dazu verdient. Krauleidis sieht gesext als ein Produkt für den Amateurbereich, als eine »Auktionsplattform, um Fantasien zu erfüllen«.

Seit elf Jahren bekomme Krauleidis regelmäßig Rückmeldungen von Frauen, die über die Plattform Sex versteigern. »Die eine will Prinzessin sein, die andere Schlampe. Jede hat eigene Fantasien im Kopf, und dafür ist dies der richtige Marktplatz. Gesext bietet einfach andere Möglichkeiten, Fantasien zu erleben, bei denen man sonst Angst hat, abgestempelt zu werden«, so der Geschäftsführer. »Viele Frauen, die nach langer Zeit in unglücklichen Partnerschaften kommen, erzählen mir, wie das Interesse und die Wertschätzung von Männern ihnen mit dem Selbstbewusstsein hilft.« Und viele Männer geben sich auch große Mühe bei den Treffen, bringen Geschenke oder Blumen mit, in denen sie das Geld verstecken.

Sarah kann es sich nicht vorstellen, ihren Selbstwert über Rückmeldungen von Männern bestimmen zu lassen. Aber auch sie empfindet den Moment der Geldübergabe als den spannendsten des ganzen Dates. Meistens wird es in einem Briefumschlag am Anfang eines Dates übergeben, selten offen. Manch einer versucht auch, ihr das Geld in die Tasche zu stecken, ohne dass sie es mitbekommt: »Das finde ich spannend, so als ob er mich nicht bezahlt hätte, nur weil ich es nicht gesehen habe.«

Inwieweit sind die beiden Plattformen emanzipatorisch? Pia Poppenreiter stellt klar, dass es starke Frauen sind, die auf bezahlte Dates gehen. Da sei ganz klar abgesprochen, wo die Grenzen sind, und jede einzelne Nutzerin der App werde in einem Auswahlgespräch telefonisch beraten, auch darüber, was für Sicherheitsvorkehrungen sie treffen kann. Sie sieht die Männer in einer schwachen Position: Keiner fühle sich gut damit, für ein Date zu bezahlen; man mache das, weil man etwas lösen wolle. »Da haben viele ein falsches Verständnis. Das sind Frauen, die wissen, worauf sie sich einlassen, und bestimmen, mit wem. Das sind keine Opfer, ganz im Gegenteil«, so Poppenreiter. Auf gesext sind es die Anbieter, die ihre Vorstellung aufschreiben und sich dann ersteigern lassen. Insofern befreien beide Plattformen die Sexarbeit von bestimmten Zwängen.

2009 veröffentlichte gesext eine Statistik, die zeigte, wie mit der Einführung der Studiengebühren die Anzahl der Studentinnen, die Sexauktionen anbieten, sprunghaft angestiegen ist. Während beide Plattformen freie, unabhängige, starke Frauen anführen, muss man doch über den finanziellen Aspekt reden, der einen Einfluss darauf haben kann, ob man sexuelle Dienstleistungen anbietet oder nicht. Ab wann ist ein Mangel an Geld, wie ihn viele Studenten kennen, ein Zwang, aus dem die Sexarbeit als schneller Ausweg erscheint? Ist Mangel daran zu messen, sich keinen Luxus wie neue Kleidung oder eine Urlaubsreise leisten zu können? Oder erst, wenn es zum tägliche Überleben nicht reicht? Und selbst dann: Kann die Entscheidung pro Sexarbeit nicht auch frei getroffen werden, ohne gezwungen zu sein? Zumindest ermöglichen beide Plattformen einen selbstbestimmten und anonymen Zugang in die Bereitstellung sexueller Dienstleistungen.

Sarah jedenfalls sieht in der Sexarbeit ihre Erfüllung. Auch im Finanziellen. Für sie ist es aber »mehr Beruf als Job, für mich ist das so eine Art Berufung. Da habe ich meinen Platz gefunden, das ist, was ich machen will. Aber es ist auf jeden Fall auch ein Hobby. Ich liebe das Adrenalin, das bei der Aufregung vor dem Date ausgeschüttet wird, und das sich jedes Mal von neuem einstellt.«

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