Großbaustelle im Naturidyll
Im Nordosten wächst die Offshore-Stromtrasse zu zwei Windparks nordöstlich von Rügen
Grasende Kühe nur 100 Meter neben einer lauten Horizontalbohrmaschine, dahinter das atomare Zwischenlager. Lubmin im Osten Mecklenburg-Vorpommerns bietet derzeit eine Kulisse der Gegensätze: zwischen norddeutschem Naturidyll und Großbaustelle: In Nähe des stillgelegten Atomkraftwerks arbeitet der Netzbetreiber 50Hertz am Bau der Offshore-Stromtrasse »Ostwind 1« zu zwei genehmigten Windparks nordöstlich von Rügen. An der Anlandestelle - unter dem Areal eines Naturschutzgebietes - wurden auf einer Strecke von 400 Metern die ersten Leerrohre für die Stromkabel verlegt.
»Aus naturschutzfachlicher Sicht ist das ein hochsensibler Bereich«, berichtet 50Hertz-Projektleiter Wolfgang Thießen. Das Gebiet nahe dem stillgelegten Atomkraftwerk ist FFH- und Vogelschutzgebiet. Nur wenige Meter neben der Horizontalbohrmaschine steht ein Amphibienzaun, an dem alle 25 Meter ein Eimer in der Erde versenkt ist. »Vor wenigen Wochen haben wir hier täglich 450 Lurche, Frösche oder Kröten über die Baustelle auf die andere Seite getragen«, sagt Bauleiter Hans-Günter Hiller. Jetzt haben die Amphibien Winterruhe - im Gegensatz zur Bohrmaschine, die sich brummend Stück um Stück in sieben Meter Tiefe unter den Salzgraswiesen vorarbeitet.
Von 2018 an soll der erste Strom vom westlichen Adlergrund - einem Offshore-Eignungsgebiet in der Ostsee rund 30 Kilometer nordöstlich von Rügen - nach Lubmin fließen. Mit dem Iberdrola-Projekt »Wikinger« und dem E.on-Vorhaben »Arkona-Becken Südost« sind dort bereits zwei Windparks genehmigt. Der Netzbetreiber 50Hertz verlegt das rund 90 Kilometer lange Kabel durch die Ostsee und führt es dann drei Kilometer über Land zum Umspannwerk Lubmin, damit der Ökostrom auch die Haushalte erreicht.
Die Kabel haben eine Leistung von 785 Megawatt, wie 50Hertz-Sprecher Siegfried Wagner berichtet. Das Projekt ist nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern mit 1,5 Milliarden Euro auch sehr teuer. 50 Millionen Euro verbaut das Unternehmen an Land, rund 1,45 Milliarden Euro in der See. Allein die Umweltauflagen an Land schlagen mit rund 250 000 Euro zu Buche. Während eine Arbeitsgemeinschaft dreier Firmen an Land die Rohre verlegt, durch die später die Kabel gezogen werden, sind auf der See bereits vier Schiffe unterwegs, die die Trasse Zentimeter um Zentimeter auf Munition und archäologische Funde scannen.
Rund 3000 magnetische Anomalien wurden geortet, berichtet Thießen. »In weniger als einem Prozent dieser Auffälligkeiten handelte es sich um Kriegsmunition.« Entdeckt wurden unter anderem mehrere Wasserbomben sowie eine Seemine, die - soweit sie nicht geräumt werden können - in den kommenden Wochen gesprengt werden sollen. »Wir haben auch eine Kanonenkugel entdeckt«, sagte Thießen. Die geht an die Archäologen vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege.
Bei seinen Erkundungsarbeiten stieß das Unternehmen auch auf Überreste von zwei bislang unbekannten Wracks. Eines gehört zur sogenannten Schwedensperre. Im Juli 1715 hatten die in Pommern herrschenden Schweden quer über den Greifswalder Bodden rund 20 kleinere, mit Ballaststeinen beladene Schiffe und Fischereiboote als künstliche Sperre versenkt, um den feindlichen Dänen die Einfahrt in den Bodden zu verwehren. Das zweite Wrack stammt laut Thießen aus dem 13. Jahrhundert, dessen Reste würden jetzt geborgen. Im Frühjahr nach dem Ende der Laichschonzeit im Greifswalder Bodden will 50Hertz mit dem Bau der Stromtrasse auf See beginnen. Dann sollen auch die bauvorbereitenden Arbeiten abgeschlossen sein. dpa/nd
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