Da fehlt nichts

Lena Herrmann-Green über das Aufwachsen in einer Regenbogenfamilie

  • Lesedauer: 5 Min.

Wie lauten die komischsten Kommentare, die Sie zu hören bekommen, wenn sie über Ihre familiäre Situation berichten?

Meine »liebsten« Kommentare oder Fragen sind: »Du hast zwei Mütter - das ist ja unmöglich!« »Wer von deinen Müttern ist denn die ›richtige‹ Mutter?« »Wer hat die Vaterrolle inne?« »Vermisst du nicht deinen Vater?« »Hast du darunter gelitten?« Das sind alles total unsinnige Fragen, wenn man sich in meine Rolle hineinversetzt.

Wie ist es für Sie, sich und Ihre Familie immer erklären zu müssen und auch von der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit zu bekommen?

Ich bin mittlerweile daran gewöhnt. Ich habe dieses Jahr im Europäischen Parlament gesprochen. Bereits mit neun Jahren war ich für das Buch »Und was sagen die Kinder dazu?« von Stephanie Gerlach interviewt worden. Mit 13 haben sich meine Eltern getrennt, da habe ich mich zurückgezogen und wollte keine Interviews mehr geben. Das Problem war der Zwang, beweisen zu müssen, dass die Familie in Ordnung ist. Für Kinder in Regenbogenfamilien gibt es einen unglaublichen Druck, sich zu rechtfertigen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Zum Beispiel wenn ich sage: Ich studiere jetzt, war am Gymnasium und habe viele Freunde. Dann heißt es: »Es hat geklappt.« Ich bin aus Insemination entstanden und habe keine drei Augen. Ich habe keinen Hauptschulabschluss und bin kein Einzelgänger. Aber auch wenn das so wäre, sollte das okay sein. Meine Geschichte zeigt, dass es funktioniert. Dass Kinder in einer Regenbogenfamilie glücklich sein können. Dass jeder so sollte leben dürfen, wenn er es will.

Woher kommt dieser Druck Ihrer Meinung nach?

Dieser »pressure to be perfect«, dieser Druck perfekt zu sein, kommt von außen und von innen. Das soll nicht heißen, dass Regenbogeneltern von ihren Kindern erwarten, dass sie perfekt sind. Es hat vielmehr damit zu tun, dass wir zu einer Minderheit gehören, die noch nicht hundertprozentig akzeptiert wird. Und damit, dass in der Politik derzeit in dem Bereich so viel im Umbruch ist, dass jede meiner Aussagen einen großen Einfluss darauf haben kann. Ich habe meistens einfach von meinem Leben erzählt. Doch ich musste mich immer wegen meiner Eltern rechtfertigen und beteuern, dass meine Geschwister wirklich meine Geschwister sind. Das sollte nicht so sein.

Was wäre der nächste Schritt?

Der Druck muss weg, auch von den Eltern. Es muss auch einer Regenbogenfamilie zugestanden werden, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen. Wenn das Kind beispielsweise einen Wutanfall hat, muss das nichts damit zu tun haben, dass die Eltern lesbisch sind. Es hat sich wahrscheinlich einfach über etwas geärgert. Der nächste Schritt sollte sein zu verstehen, dass wir normal sind und weg von dem »wir sind was Besonderes«. Es ist sicher schwierig, dieses Gleichgewicht zu finden, denn damit wir geschützt und anerkannt sind, müssen wir erst wahrgenommen werden. In einem Paper über Diskriminierung habe ich erst kürzlich den guten Satz gelesen: »Um als gleichwertig gesehen zu werden, muss zunächst der Unterschied wahrgenommen werden.«

Wie sind die Reaktionen auf Ihre Erzählungen und Meinungsäußerungen?

Bei Podiumsdiskussionen kommen viele positive Rückmeldungen. Das hat mich gewundert. Viele sagten mir, dass sie auch diesen Druck haben, eine Vorzeigefamilie sein zu müssen und dass es schön sei, dass es mal jemand anspricht.

Wie war es für Sie als Kind?

Als Kind hat mir das Interesse gefallen und ich habe gerne über meine Familie geredet. Es ist wichtig, Selbstbewusstsein zu haben und für mich zu wissen, dass ich meine Familie liebe und meine Familie mich liebt. Ich erinnere mich daran, als Kind durch den Bus gelaufen zu sein und gerufen zu haben: »Ich habe zwei Mütter!« Ich habe es damals allen erzählt, aber es hat nicht meinen Alltag bestimmt. Die häufigste Frage, die mir gestellt wird, ist: Würdest du gerne deinen Papa kennenlernen? Ich habe ein Problem mit der Definition »Papa«. Denn das ist für mich jemand, der einen liebt und da ist. In diesem Sinne habe ich keinen Papa, sondern zwei Eltern, die mich lieben. Und ich brauche nicht noch jemanden dazu. Wir sind komplett, so wie wir sind. Da fehlt nichts.

Forschungen haben ergeben, dass der einzige Unterschied zwischen Hetero- und Regenbogenfamilien die fehlende Akzeptanz durch die soziale Umwelt und daraus resultierende Probleme sei. Können Sie von Schwierigkeiten oder Diskriminierungserfahrungen berichten?

Ich persönlich habe keine fehlende Akzeptanz erlebt, sondern vielmehr Neugier und Interesse. Unser Alltag ist ja eigentlich so wie bei Heterofamilien. Unsere Eltern sind mit uns viele Fragen durchgegangen und haben uns auch mit Rollenspielen auf mögliche Reaktionen auf unsere Familie vorbereitet. Das Wichtigste ist Selbstbewusstsein, sich nicht verrückt machen und aufzwingen lassen, beweisen zu müssen, dass wir eine tolle Glitzerfamilie sind. Ich wurde als Kind nie gehänselt. Wenn jemand mobben oder diskriminieren will, dann findet er auch einen Grund, ohne dass man lesbische Eltern hat. Wichtig ist eine gute Umgebung, die einen stützt.

Fühlen Sie sich als Teil der LGBTI-Community, also der Gemeinschaft von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen?

Meine Mutter engagiert sich als Vizepräsidentin beim Netzwerk europäischer LGBTI-Familien (NELFA) für das Thema. Und für unsere Eltern war ein Austausch mit anderen Eltern immer schon sehr wichtig. Wir gingen zum Beispiel zu den LesKids-Treffen. Insofern fühle ich mich schon zugehörig.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach politisch ändern, um das Leben von Regenbogenfamilien zu verbessern?

Eine gesetzliche Gleichstellung muss absolut oberste Priorität haben. Denn Familie ist da, wo Liebe ist, unabhängig von den Geschlechtern der Eltern. Ich hoffe, dass die Selbstverständlichkeit wächst, diese Familien als Familien anzusehen, und dadurch der Druck weggeht, sich beweisen zu müssen. Denn wenn es vom Staat anerkannt wird, muss man es nicht mehr so stark beweisen. Eltern sollten sich auch den Druck, gute Eltern sein zu müssen, nehmen. Sie machen sich so viele Gedanken und geben sich so viel Mühe zu zeigen, in Ordnung zu sein. Das ist enorm anstrengend.

Wir sind, wie wir sind, Familien mit Höhen und Tiefen, und dies sollte auch so akzeptiert werden. Ich wünsche mir, dass diese Vielfalt als Bereicherung gesehen und gelebt wird.

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