Die Polizei als Spaß-Guerilla

Es scheint, als sei die Logik, wonach viel Polizei auf viel Problem hinweist, unausrottbar. Dabei handelt es sich allerdings um eine Logik, die zumindest in Jena auch der Polizei selbst nicht zupass kommt. Die Beamten wollen schließlich endlich einmal ihre Überstunden abfeiern. Und ersannen eine Satire-Aktion, die leider nicht als solche erkannt wurde.

Sonntag Nachmittag, 16 Uhr 16, Bahnhof Jena West. Etwa zehn Fußballfans, die bei der Regionalligapartie Jena gegen Zwickau gewesen waren und nach Schlusspfiff sehr schnellen Fußes gesprintet waren, steigen in den Regionalzug nach Weimar. Draußen auf dem Bahnsteig stehen derweil etwa 30 gelangweilte Polizisten, einige davon unterhalten sich über einen Sketch, den das SEK (Satirisches Elite-Kommando) der örtlichen Einheiten ein paar Tage zuvor aufgeführt hatte, dessen tiefgründige Ironie aber weder von der örtlichen Politik noch von der Journaille erfasst worden war.

Drinnen, im Zug, sind sich derweil alle Bahninsassen einig – von der Schaffnerin bis zur strickenden Omi. Das mit dem Fußball wird immer schlimmer, alles Asoziale, Betrunkene und betrunkene Asoziale. Und nur wegen diesem Gesocks müssen die armen Polizisten Sonderschichten schieben. Und wer zahlt das alles? Genau....

Es scheint, als sei die Logik, wonach viel Polizei auf viel Problem hinweist, unausrottbar. Dabei handelt es sich allerdings um eine Logik, die zumindest in Jena auch der Polizei selbst nicht zupass kommt. Die Beamten wollen schließlich endlich einmal ihre Überstunden abfeiern. Und sie wissen selbst nur allzu gut, dass sie dazu nicht kommen werden, so lange die jeweiligen Innenminister auch schon lange vor Paris jede öffentliche Veranstaltung doppelt und dreifach sichern lassen wollten, weil die Opposition ansonsten ja mit dem Vorwurf der Feigheit vor dem Feinde argumentieren könnte.

Was lag für die Jenaer Polizei also näher, als jedes Vertrauen in die eigene Urteilskraft so grundsätzlich zu erschüttern, dass jeder Innenminister, der in Thüringen wiedergewählt werden will, die öffentliche Sicherheit bei Fußballspielen künftig lieber in die Hände der Heilsarmee legen wird als sie weiter bei der Polizei zu belassen. Dass genau das von Vorneherein das Ziel war, haben allerdings nur die wenigsten durchschaut.

Dabei bedurfte es nun wirklich nicht vieler Gehirnzellen, um die satirische Meisterleistung als solche zu erkennen. Zu recherchieren wäre allenfalls noch, ob die Jenaer Ultras dabei von Vorneherein als Werkzeuge der Aktion »Sonntag frei für die Polizei« fungierten (was sie selbstredend nie zugeben würden), oder ob deren Wirken von den überarbeiteten Beamten als Steilvorlage fürs freie Wochenende genutzt wurde.

So oder so: In der vergangenen Woche bepinselten einige Jenaer-Fans die in tristem Grau gehaltenen Stufen in ihrer Fankurve in den Vereinsfarben blau-weiß-gelb. Sofern man etwas so Prosaisches wie eine Stufe schöner machen kann, war das einstweilen gelungen. Den Fans, die die Aktion selbst finanziert und bei Minusgraden durchgeführt hatten, waren`s zufrieden und freuten sich des Lobes von Trainer und Spielern ... bis das SEK – (Satirisches Elite Kollektiv) auf den Plan trat und feststellte, dass nun die öffentliche Sicherheit nicht mehr gewährleistet sei.

Aufkommendes Gelächter im Jenaer Rathaus erstickte ein SEK-Sprecher mit bösem Blick im Keime und argumentierte, dass bei einer Flucht nach oben die Fluchtwege nicht mehr klar erkennbar seien. Diese waren vorher auf der etwa 20 Meter langen Strecke vom Zaun bis zum Ausgang gelb eingezeichnet und hoben sich vom grau deutlich ab. Aber nun gab es neben dem gelb gleich zwei weitere Farben, nämlich weiß und blau…

Ein Flüchtender, drei Farben. Wer da beim Flüchten nicht durcheinanderkommt, muss schon einen IQ in Einsteinschen Dimensionen haben...

Doch oh weh, während der Satire-Elite-Kollektiv-Sprecher in der Besprechung mit Verein und Oberbürgermeister alle Mühe hatte, beim Vortragen seiner Argumente nicht immer wieder laut loszuprusten, debattierten Politiker und Funktionäre doch allen Ernstes stundenlang über den Antrag auf Spielverlegung. Kein Schenkelklopfen beim OB, kein verschwörerisches Augenzwinkern beim Vertreter der städtischen Behörden. Die ganze schöne Satire-Aktion komplett vergurkt. Die Beamten werden nun einstweilen weiter hundertfach am Wochenende ausrücken müssen, derweil ihre Polizeiführung beschlossen hat, mit dem weichen Wasser der Satire zumindest mittelfristig den Stein zu brechen. In Jena ist in den kommenden Monaten also wohl mit weiteren Aktionen der Polizei-Spaßguerilla zu rechnen.

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