Einen ansaufen im Beisl

Die Wienerin Stefanie Sargnagel stellt ihr Buch vor, das nur aus Facebook-Einträgen besteht

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.
Die lustige Wiener »Facebook-Schriftstellerin« Stefanie Sargnagel trinkt gerne Bier und kultiviert eine Ästhetik des Trostlosen, mit der sie unsere tragikomische Wirklichkeit besser abbildet als die Streber aus der deutschen Gegenwartsliteratur. Am Montag stellt sie in Berlin ihr neues Buch vor.

Wie geht es eigentlich so zu, wenn beim »Oktoberfest« der rechtspopulistischen österreichischen FPÖ schon zur Mittagszeit das Bier in Strömen fließt und sich eine große Meute Berufspatrioten auf einem Flecken versammelt? Und wenn dann deren »fescher«Anführer Heinz Christian Strache ans Rednerpult tritt und die einschlägigen Signalbegriffe und sein erwartbares Humba-Humba-Identitäterä zum Besten gibt, was geschieht da mit den Leuten? Die Mischung aus bizarrem Führerkult, exzessivem Alkoholmissbrauch, Berauschung am eigenen Kollektiv und mühevoll im Zaum gehaltener Gewaltlust ist dann, ähnlich wie hierzulande bei Pegida- und AfD-Zusammenrottungen, mit Händen zu greifen. Die ersten Biere und Schnäpse haben bei der entfesselten und bedingungslos zustimmungsbereiten Menge zu diesem Zeitpunkt schon erkennbar Wirkung hinterlassen.

Die Wiener Bloggerin, Autorin und Kunststudentin Stefanie Sargnagel hat sich einmal unbemerkt unter die Oktoberfest-Besucherinnen und -Besucher geschummelt und von einem solchen Auftritt Straches berichtet: »Verwundert blickte ich mich um, der Boden des Raumes war plötzlich von einer klebrigen, süßsauer riechenden Flüssigkeit überzogen. Ich fasste es nicht, den vierzigjährigen Frauen um mich herum war offenbar allen gleichzeitig literweise Scheidenflüssigkeit durch ihre Dirndl geplatscht. Rund um mich leuchtende Augen, jubelnde Kinder, weinende alte Menschen.«

Natürlich geht es hier darum, sich über ein Milieu lustig zu machen, es vorzuführen, und zwar mit Blick auf dessen Unfähigkeit, seine Affekte zu kontrollieren, und dessen uneingeschränkte Bereitschaft, den Verstand ausgeknipst und das kollektive Unbewusste angeknipst zu lassen. Aber auch darum, den jederzeit abrufbaren Wahn dieses Milieus zu illustrieren, den Triumph des Irrationalen freizulegen: die euphorisierten Gafferinnen in ihren feschen Dirndln, die Ja!- und die Raus!-Brüller, all die Reinheitsfanatiker und autoritären Charaktere, all jene, denen jeder noch selbstständig denkende Mensch, jeder Zweifler verhasst ist.

Nach allem, was man über Stefanie Sargnagel weiß und von ihr selbst lesen kann, ist sie unter anderem als Autorin für »Vice« tätig, eine recht populäre Zeitschrift/Webseite, die von mutmaßlich jungen Menschen gefüllt wird, die unter hormonellen und sonstigen Störungen leiden. Dort ist auch ihre Reportage über das FPÖ-Oktoberfest erschienen. Ein gewöhnungsbedürftiger Humor und sehr stark begrenzte Sprach- und Interpunktionskenntnisse scheinen bei »Vice« Einstellungsvoraussetzungen zu sein. Außerdem pflegt man dort einen unseligen Hang zum pennälerhaft Tabubrecherischen sowie eine unappetitliche Vorliebe für die Art Borderline-Journalismus und Unterhosenspionage, für die man auch in der »Bild«-Redaktion viel übrig hat.

Die meisten ihrer Texte verfasst die 29-jährige Autorin, die mit bürgerlichem Namen Sprengnagel heißt und ihren Lebensunterhalt als Call-Center-Arbeitssklavin verdient, jedoch nicht für Zeitungen oder Zeitschriften, sondern für ihr Facebook-Profil. In der Regel sind es tagebuchartige Notizen, Aphorismen, oft Alltagsbeobachtungen, in denen eine Ästhetik des Hässlichen kultiviert wird und das Trostlose einen festen Platz hat. Da heißt es dann etwa: »Ich hab eine Affäre mit dem Mann, der in der U4 jede Frau zu einem Bier einlädt. Er küsst sehr schlecht, riecht nach faulem Obst und sein Penis ist ganz verkrustet, aber sonst ist es schön, weil er mich ständig auf Bier einlädt.«

Ist das nun Literatur? Wer so fragt, bei dem kann man das Rümpfen der Nase schon sehen, noch bevor das letzte Wort der Frage ausgesprochen ist. Die »Facebook-Schriftstellerin«, wie sie notorisch bezeichnet wird, scheint sich jedenfalls mit dem hiesigen Literaturbetrieb gut auszukennen: »Für Literaturinstitutionen darf es nicht zu unterhaltsam sein, sondern lieber langweilig und schwermütig«, sagte sie kürzlich der österreichischen Tageszeitung »Die Presse«. So betrachtet, sind Sargnagels Notate über das beschädigte Leben zu unterhaltsam. Und das obwohl oder weil ihre Themen - die Realität und deren Banalität und Armseligkeit - solche sind, die in den Zuckerbäckererzeugnissen, die dem deutschsprachigen Lesepublikum seit Jahren als »Gegenwartsliteratur« verkauft werden, gern ausgeblendet werden.

Statt ihren Prosabrocken einen Schwermutgoldrand zu verpassen, hält sich Sargnagel lieber an eine bewährte österreichische Literaturtradition: Misanthropie, Fatalismus, Humor (»Ich freu mich immer über fette, alte Frauencliquen, die sich gemeinsam im Beisl ansaufen. Das gibt mir Hoffnung«). Die von ihr gezeigten Realitätsausschnitte sind noch nicht um vermeintlich zu schonender Leser und Leserinnen willen von Kulturbetriebsonkeln und Verlagstanten geglättet, aufgehübscht oder mundgerecht aufbereitet worden. »Im Internet posten die Leute ja auch nur Fotos von mariniertem Tofu, aber nicht davon, wie sie sich depressiv Fäuste voller Chips reinschieben«, sagte Sargnagel kürzlich dem österreichischen Klatschblatt »News«. Oder anders formuliert: Sargnagel, die schon einige Zeit auf das Zahlen ihrer Studiengebühren verzichtet und eine starke Vorliebe für Bier hat, schreibt »über prekäres Leben, über Aussichtslosigkeit« (»Spiegel Online«), zeigt auch keine Scheu, in ihren Texten das eigene Versagen auszustellen. Heraus kommt eine Literatur gegen den allgegenwärtigen Effektivitätswahn, gegen die allgegenwärtige Reklamelüge, die uns umgibt, vom Beauty-Tipp und dem Preisknüller des Tages bis zu den hohlen Phrasen von der Würde des Menschseins und der wehrhaften Demokratie.

Das Springerblatt »Die Welt« nennt Sargnagel »eine niedliche Assi-Bratze«, die »eklige Sachen schreibt«. Womit das Treiben der Bloggerin bzw. ihre literarische Methode nur sehr ungenügend umrissen sein dürfte. Man stelle sich vor, was geschähe, wenn im selben Blatt einer oder eine über Durs Grünbein schriebe, dieser sei ein niedlicher Kultur-Fatzke, der eklige Sachen schreibt. Nicht auszudenken.

Das neue Buch Sargnagels, deren sportliche Hauptaktivität darin besteht, in Gaststätten zu sitzen und achtzugeben, dass ihre Zigarette nicht erlischt, trägt den Titel »Fitness«. Das Boulevardnachrichtenportal »Spiegel Online« tadelte, das Buch sei »wirr« und setze sich »aus copygepasteten Facebook-Statusmeldungen, Callcenter-Dialogen und Microsoft-Paint-Krakelzeichnungen« zusammen. Überdies mangele es an »Figurenzeichnung« und einem »Spannungsbogen«. Man möchte nicht wissen, was man auf »Spiegel Online« zum Spannungsbogen in Samuel Becketts Theaterstücken oder zu den ersten Publikationen von William S. Burroughs hätte lesen müssen. Was könnte Stefanie Sargnagel, die Schriftstellerin, auch schon mit Beckett oder dessen Figuren gemein haben? »Mein Lebensstil erschließt sich halt aus einer Mischung aus Unfähigkeit, Unentschlossenheit, Gleichgültigkeit und Verweigerung«, schrieb sie einmal in einem ihrer Beiträge für »Vice«.

Stefanie Sargnagel liest am 7.12., 20 Uhr, aus »Fitness«, »Monarch«, Skalitzer Straße 134, Kreuzberg.

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