Matrosenanzüge und verschwitzte Unterhemden
Fantasy-Filmfest-White Nights: Heute und morgen kann man zehn neue originelle Thriller und Horrorfilme sehen
»This is going to get bad really fast«, sagt unser Held, dessen Unterhemd schon bedenklich durchgeschwitzt aussieht und dem die Munition zur Neige geht, in der Mitte des Films. Vor ihm bricht zum wiederholten Mal der Asphalt auf, und aus den Löchern, die sich auftun, krabbeln lava- und feuerspuckende Riesenspinnen, so groß wie Menschenkörper. Moment. Feuerspuckende Riesenspinnen? Zugegeben, neu ist die »Tarantula«-Idee nicht. Aber das ist egal. Schließlich sind wir bei den Fantasy Filmfest »White Nights«, die am Wochenende in Berlin, Frankfurt am Main und Köln stattfinden: Zwei Tage, an denen jeweils fünf neue Filme aus dem Horror-/Science-Fiction-Genre gezeigt werden.
In »Lavantula« etwa, wie das US-amerikanische Trash-Picture heißt, das fürs US-Fernsehen produziert wurde und an keiner Stelle einen Hehl daraus macht, eine Extrembilligproduktion zu sein, krabbeln eines Tages nach einem Vulkanausbruch in Los Angeles plötzlich gewaltige Spinnen aus dem Erdinneren und fallen über die Menschen her. Bis schließlich der oben zitierte Held, ein abgehalfterter Hollywood-Actionfilm-Star, der die alten US-amerikanischen Tugenden Tatkraft und Eigeninitiative noch nicht vergessen hat, sich mit viel Munition und einem Plan der Sache annimmt. Beeindruckend sind vor allem die wunderbar schlechten Explosionsimitationen und erbärmlichen Special Effects, durch die der Film, der natürlich auch eine Klamotte und eine Parodie auf den US-Bubble-Gum-Actionfilm und dessen Klischees ist, stark comichafte Züge gewinnt.
Des weiteren gezeigt wird der spanisch-US-amerikanische Schocker »Summer Camp«, in dem ein paar arglose junge Menschen, die als Betreuer in einem in der spanischen Einöde liegenden Kinder-Feriencamp angeheuert haben, aus anfangs unerfindlichen Gründen eine dickflüssige schwarze Brühe erbrechen, sich schlagartig für jeweils eine halbe Stunde in reißende Bestien verwandeln und sich danach ebenso plötzlich wieder zurückverwandeln, ohne sich allerdings zu erinnern, wer oder was sie für die Dauer einer halben Stunde waren und in wen sie in dieser Zeit ihre Reißzähne geschlagen haben. Da kann man von Glück sagen, dass die lieben Kleinen erst am nächsten Tag im Camp eintreffen und die jeweils unter allerlei Geknurre und Geschrei temporär zu werwolfähnlichen Monstren mutierenden jungen Erzieherinnen und Erzieher vorerst unter sich sind.
Der Film spielt liebevoll mit den Schock-Techniken des Genres: Die Anfangsszene etwa erlebt der Zuschauer per subjektiver Kamera als atemlos schnaufend durchs Dickicht flüchtender Gehetzter - bis ersichtlich wird, dass es sich hier nur um ein Spiel handelt.
Eine der sehenswertesten Produktionen dürfte wohl »Tag« sein, ein surrealer Highspeed-Splatter-Alptraum von einem Film, der eine der hinreißendsten Eröffnungssequenzen überhaupt hat. Alles Wichtige ist jedenfalls drin im Film, von dem man meinen könnte, dass Quentin Tarantino, Takashi Miike, Philip K. Dick und Luis Bunuel ihn gemeinsam gemacht haben: giggelnde Schulmädchen in putzigen Matrosenanzügen, mit ratternden Schnellfeuergewehren amoklaufende Schullehrerinnen, ineinander verschachtelte Realitäts- und Fiktionalitätsebenen, tonnenweise Kunstblut, zahlreiche sauber abgetrennte Körperteile und nie zuvor ausprobierte Kamerafahrten. Und als Dreingabe eine recht nervenzermürbende Tonspur, die klingt, als würde im Hobbyraum nebenan eine Heavy-Metal-Band üben. Kurz: alles, wovon deutsche Regisseure noch nie gehört haben. Auch der Verzicht auf herkömmliche Logik und eine klassische lineare Story tun dem Film überaus gut. Ein Film, neben dem das gesamte Programm des ZDF auf einen wirkt, als würden dort 24 Stunden am Tag in Zeitlupe leblose Körper in mausgrauer Kleidung beim Ausfüllen und Diskutieren ihrer Steuererklärung gezeigt. Ich empfehle dieses Meisterwerk des gegenwärtigen asiatischen Hochgeschwindigkeitskinos ausdrücklich (Samstag, 20.30 Uhr).
Auch im Programm: »Baskin«, der erste türkische Horrorfilm, der auf einem Fantasy-Filmfest gezeigt wird.
»Fantasy Filmfest White Nights«. Am 5./6.12. im CineStar Sony-Center
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.