Jedes Jahr ein Syrien
Bomben fallen auf Erdöl. Russland, die USA, Frankreich, Großbritannien, und jetzt auch Deutschland, im Kampf gegen schmutziges Öl wird schweres Geschütz aufgefahren. Mit TNT, Marschflugkörpern und Tornado-Kampfjets hat man dem schwarzen Gold den Krieg erklärt. Ohne Unterbrechung gehen die Angriffe der letzten Tage auf Öltanklaster weiter, die das Schmiermittel der Weltwirtschaft in die Arterien der Fabriken, Kraftwerke, Zentralheizungen und Autos pumpen. Heute stehen die Schlepper in Flammen, ihre verkohlten Reste kokeln in der Wüste vor sich hin.
Absurdistan im Bundestag. Volle Bänke bei den Regierungsfraktionen. Auf der Tagesordnung in Berlin steht eine globale Bedrohung für den Weltfrieden: Der Islamische Staat. Wortreich wird der Sinn von Luftschlägen auf die Wüstenstadt Raqqa erklärt, Hochburg der islamistischen Gotteskrieger im Bürgerkriegsland Syrien. Ganz oben auf der Abschussliste der »Allianz gegen den Terror« der Erdölschmuggel der Islamisten in die Nachbarländer. Es hat sich längst bis nach Berlin rumgesprochen, mit Öl füllen die Dschihadisten ihre Kriegskasse. Die erdrückende Mehrheit der GroKo lässt die zweifelnde Opposition links liegen: Die Parlamentsarmee wird in den Krieg geschickt. Ein Bruch mit dem größten Terrorsponsor und größten Erdöl-Förderland der Erde, Saudi-Arabien, steht erwartungsgemäß nicht an. Nur drei Wochen nach den unmenschlichen Anschlägen in Paris hat die Politik, sonst so träge und entscheidungsunwillig, beraten, gehandelt und beschlossen. Krieg kann so einfach sein.
Um kurz nach 11 ist die nächste globale Bedrohung dran: Der Klimawandel. Umweltministerin Hendricks hört bei ihrer Regierungserklärung zur Pariser Klimakonferenz fast keiner mehr zu. Mitten in ihrer Rede steht Merkel auf, nimmt ihre rote Tasche – und geht. Ihre FraktionskollegInnen haben nicht einmal diese 5-Minuten-Anstandsgeste der Aufmerksamkeit auf die Reihe bekommen. Nach ihrem »Ja« für den Krieg ohne UN-Mandat sitzen sie längst im Abgeordnetenrestaurant. Oder telefonieren mit Journalisten. Die meisten sind, es ist Freitag, schon auf dem Weg in ihre Heimatwahlkreise. Was in Paris passiert, das ihnen doch angeblich so am Herzen liegt, was Klimawandel schon heute bedeutet, dafür haben die so um die Welt besorgten Kolleginnen und Kollegen kein Ohr, keine Zeit, keine Lust. Den Reden der Opposition, meiner Rede, wird kein Gehör geschenkt. Das ist die Arroganz der Macht.
Die Bedrohung durch den Klimawandel, sie ist viel größer als jeder blutige Bürgerkrieg. Machen wir so weiter, sterben ab 2030 laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 250.000 Menschen mehr am Klimawandel, und zwar jedes Jahr. Jedes Jahr ein Syrien! Jedes Jahr sterben über sieben Millionen Menschen an den Folgen der durch fossile Brennstoffe herbei geführten Luftverschmutzung, auch das sind erschütternde WHO-Daten. In Kriegsfragen wird auf einmal Betroffenheit zum Thema. Die Anschläge von Paris hätten uns »gezwungen zu erkennen, dass diese Region unsere Nachbarregion ist«, sagt in der Syrien-Debatte Norbert Röttgen. »Nichthandeln und Zusehen hat es lange genug gegeben«, sagt der CDU-Mann, der unter Schwarz-Geld selbst Umweltminister war.
Der Klimawandel war ihm damals ehrlich gesagt schnuppe. Seine Parteifreunde sind bis heute an vorderster Fronst dabei, wenn es gegen ein Durchgreifen für Klimaschutz, wenn es für einen Kohleausstieg, für mehr Windräder geht. Immerhin kann Nachfolgerin Hendricks dank des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses verkünden, dass die Bundesregierung wieder »klimaneutral« auf Dienstreisen geht und CO2-Emissionen durch Projekte im globalen Süden kompensiert. Als Umweltminister hatte der Röttgen aus dem Kohleland NRW nämlich nicht nur den Bau neuer Kohlekraftwerke vorangetrieben, sich für CCS-Technologie und Fracking stark gemacht und den Ausstieg auf dem Atomausstieg durch den Bundestag gepeitscht. In seine Amtszeit fällt auch die Abschaffung der Klima-Dienstreisen. Ach, wäre mehr Klimaschutz doch ein Kriegseinsatz, das Weltklima wäre längst gerettet!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.