Der kapitalistische Tsunami
Detlef Hartmann beschreibt in seinem neuen Buch Ursachen und Folgen der Finanzkrise
Als »Kredit-Tsunami« bezeichnete Alan Greenspan die Finanzkrise 2007. Das legendäre Zitat des Ex-Chefs der US-Zentralbank Fed nimmt Detlef Hartmann als Ausgangspunkt seiner Analyse der Finanzkrise und fragt nach, in welchem Entwicklungsprozess dieses Ereignis steht. Denn so überraschend wie viele vorgaben, war der Ausbruch der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten keineswegs. In »Krisen, Kämpfe, Kriege« analysiert der Publizist Hartmann die weltweite Finanzkrise in ihrem Entstehungsprozess vom Hype der New Economy über das Platzen der Dotcom-Blase 2001, der »Kernschmelze des globalen Finanzsystems« 2007 bis hin zur aktuellen Finanzpolitik.
Im Zentrum der Analyse stehen neben den in der Krise unter Druck geratenen neoklassischen Wirtschaftswissenschaften die Fed und Greenspan. Hartmann interessiert sich in seinem ebenso sachkundigen wie polemischen Buch vor allem für die Stellschraube der niedrigen Zinspolitik, mit der Greenspan gegen viele interne Widerstände eine nachhaltige Liquidität der innovativen Digitalwirtschaft in den USA erzeugte und deren weltweite Vormachtstellung ermöglichte. Spätestens 2004 warnten IWF, republikanische Thinktanks, namhafte Wirtschaftsjournalisten, unter anderem von der »New York Times«, aber auch linke Ökonomen wie Robert Brenner vor einem möglichen Crash.
Hartmann sieht im Crash aber kein systemisches Versagen, vielmehr sei er fester Bestandteil eines radikalen Umbaus der Weltwirtschaft. Der Tsunami Greenspans wurde in Kauf genommen, um das kapitalistische System auf eine neue Entwicklungsstufe zu bringen: mit Hilfe eines Innovationsschocks und einer Offensive der »schöpferischen Zerstörung«, wie es der von Greenspan gern zitierte Kapitalismustheoretiker Joseph Schumpeter bezeichnete. Die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen seien nur Nebenprodukt einer »unentdeckten Agenda«, schreibt Hartmann.
Er formuliert keine platte Kritik an der Person Greenspans, den er respektvoll als »außerordentlich reflektierten Kapitalisten« bezeichnet. Auch geht es nicht um eine billige Tirade gegen Spekulationsgewinne, sondern um die Analyse eines weitreichenden historischen Einschnitts, der neben der ökonomischen auch eine kulturelle Seite hat. Rekrutierte sich doch aus den rebellischen 68ern die kalifornische Selfmademan-Avantgarde der digitalen Revolution. »Der Kapitalismus ist auf der Suche. Er tastet nach einer neuen Formulierung seiner politischen Ökonomie«, so Hartmann.
Die innovative Digitalisierung wurde eben nicht nur ökonomisch auf der weltmarktpolitischen Bühne durchgesetzt, um dem Silicon Valley hegemoniale Geltung zu verschaffen. Dazu gehört eine funktionierende Erzählung, die Vertrauen erzeugt und Menschen einbindet. Deshalb werden laut Hartmann Interventionen wie die Antiglobalisierungsbewegung zu signifikanten Störfaktoren in einer solchen Entwicklung. Gleichzeitig wurde mit der von George Bush ausgerufenen »Hauseigentümergesellschaft« ein Rahmen geschaffen, um auch die sozialen Verlierer der Globalisierung wirtschaftlich nutzbar zu machen und weitere Liquidität zu generieren. Hartmann zeigt diesen Prozess detailliert auf und zitiert reichlich aus Reden Greenspans und aus wirtschaftswissenschaftlichen Debatten vor und nach Ausbruch der Krise. Ein spannendes Buch, zwei weitere Bände sollen folgen.
Detlef Hartmann: »Krisen, Kämpfe, Kriege«; Band 1: Alan Greenspans endloser »Tsunami«, Verlag Assoziation A, 240 Seiten, 14 Euro.
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