Die wahren, gefährlichen Verweigerer
Tom Strohschneider über die neueste Stammtischparole aus der Union und die missachteten Rechte von Flüchtlingen
Niemand stellt in Abrede, dass für alle hier lebenden Menschen ein Kanon an Grundwerten gilt – zu beachten vom eigentlichen Souverän ebenso wie von denen, die gerade zur Regierung auserkoren sind. In der Praxis halten sich vor allem Letztere nicht daran. Wer wie die Union von anderen abverlangen will, sich »zu unseren Werten, unserer Rechtsordnung« zu bekennen, sollte erst einmal selbst überprüfen, wie sehr es ihm selbst um die Grundrechte bestellt ist, in denen Wertvorstellung als verbindlich geronnen sind. Freiheit, Rechtsstaat? Werden wir doch konkret.
Das geht bei der Menschenwürde los, die Parteien mit Füßen treten, die sich gegen die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aussprechen – wie im Falle von Flüchtlingen, denen immer wieder Unionspolitiker das Wenige noch kürzen wollen. Das hört beim Recht auf Leben noch nicht auf, das Parteien in Frage stellen, die Asylsuchenden sichere Fluchtrouten verwehren, um ihr Grundrecht überhaupt wahrnehmen zu können.
Apropos: Wenn auch eingeschränkt gilt das Asylrecht noch, ebenfalls ein zum Recht geronnener Grundwert, für den sich in der Union viele nicht interessieren, die nach Obergrenzen für die Aufnahme von Geflüchteten rufen. Oder das Recht auf ein faires Verfahren und auf Rechtsschutz – die vor die asylpolitischen Hunde gehen, wenn Migranten in Abschiebezentren abgefertigt werden, wie es die Union will.
Auch der Anspruch auf gleiche Behandlung ist so ein Recht gewordener Grundwert, den die Union Asylsuchenden verweigert, wenn sie stammtischkompatibel behauptet, nur nach Einweisung und bei angedrohter Strafe würde sich der Geflüchtete wie ein Staatsbürger benehmen können – etwas, das von »besorgten« Deutschen nicht verlangt wird, obwohl immer mehr Nachhilfe dringend gebrauchen könnten. Schlimmer noch: Diese oft als »Asylkritiker« verniedlichten Rassisten und Flüchtlingsfeinde werden durch den wohlfeilen Ruf nach Integrationsverpflichtung sogar noch angefeuert. Denn das Menschenbild, das die Union hier strapaziert, steht dem von Pegida und Co. ziemlich nahe: gute Deutsche, zweifelhafte Ausländer.
Man könnte noch viel mehr Beispiele aufzählen, in denen Vertreter der Union durch Wort und Tat in Wahrheit jene Grundwerte missachten, die sie nun von anderen als Vorleistung für eine menschenwürdige Behandlung abverlangen wollen. Man braucht nur einmal den Katalog der Grundrechte in der Verfassung durchzugehen – und mit der Politik von CDU und CSU abzugleichen.
Oder man fragt einmal in Karlsruhe nach, wo ein ganzes Gericht damit befasst ist, immer wieder jene wegen der Nichtachtung von verfassungspolitisch kodifizierten Grundwerten zurückzupfeifen, die sie nun von anderen lauthals einfordern. Wenn die der Maßstab sind, dann ist leider wahr: Die eigentlichen »Integrationsverweigerer« – sie sitzen bei uns in der Regierung.
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