Sächsisches Ministerium findet frierende Flüchtlinge in Ordnung
Sozialministerium verbreitete über Twitter provokanten Eintrag über in der Kälte wartende Asylsuchende vor dem Meißner Landratsamt / Kritik von Grünen-Kommunalpolitiker an menschenfeindlicher Äußerung / LINKE stellt Anfrage an Staatsregierung zu Vorgang
Das sächsische Sozialministerium sorgt mit einem provokanten Beitrag auf Twitter für Aufregung. Zunächst hatte sich der Grünen-Kreisrat Martin Oehmichen kritisch über das soziale Netzwerk zu einem Vorfall vor dem Landratsamt Meißen geäußert. Demnach mussten mehr als 160 Flüchtlinge bei Minusgraden vor dem Eingang auf die Auszahlung ihrer Hilfsleistungen warten. »Aus dem LaGeSO nicht gelernt … auch Landratsamt Meißen lässt Flüchtlinge in der Kälte warten!«, kritisierte der Kommunalpolitiker und zog damit einen Vergleich zwischen den seit Monaten andauernden katastrophalen Verhältnissen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin und dem Fall in Meißen.
Die Antwort des Sozialministeriums ließ nicht lange auf sich warten. Via Twitter reagierte das Ministerium auf die Äußerung von Oehmichen. »Wenn man Geld geschenkt bekommt und wissentlich in ein kälteres Land auswandert, muss man auch in der Kälte warten können«, hieß es über den offiziellen Ministeriumskanal.
Offenbar war sich das Sozialministerium der fatalen Wirkung seiner Äußerung rasch bewusst. Inzwischen wurde der Tweet gelöscht, allerdings von mehreren Personen vorher mittels eines Screenshots gesichert. Grünen-Politiker Oehmichen äußerte sich schockiert von der scheinbaren Haltung des Sozialministeriums: »Offensichtlich ist dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz der Unterschied von geplanter Auswanderung und Flucht vor Krieg und Verfolgung nicht bekannt.«
In einem weiteren Tweet distanzierte sich das Ministerium von seinem eigenen Beitrag: »Über unseren Kanal wurde eine nicht hinnehmbare Äußerung getätigt. Wir distanzieren uns ausdrücklich und prüfen, wie es dazu kommen konnte.« Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz stellte zunächst die These auf, das Profil des Ministeriums könnte das Ziel eines Hackers geworden sein. Hinweise darauf gibt es bisher allerdings nicht.
Auch im Landtag wird der Fall nun zum Politikum. Der LINKEN-Abgeordnete André Schollbach teilte mit, eine Kleine Anfrage zu den Hintergründen der Twitter-Meldung stellen zu wollen. Geklärt werden soll, von wem der Beitrag ins Netz gestellt wurde und welche Personen überhaupt Zugriff auf den Twitter-Account des Sächsischen Sozialministeriums besitzen. »Diese Aussage fügt sich nahtlos in den gewohnt üblen PEGIDA-Sprech ein. Ich verlange Aufklärung, wie es dazu kommen konnte«, forderte Schollbach.
Auch der Grünen-Fraktionsvorsitzende Volkmar Zschocke stellte eine Anfrage an die Staatsregierung. Für ihn zeigt der Tweet, »welche Denkmuster in Sachsen bis in die CDU und die Ministerien hinein verbreitet sind«. Mit dem Löschen sei es nicht getan. »Dieser Vorgang muss personelle Konsequenzen haben«, forderte er. Am Nachmittag teile das Ministerium mit, wegen des Beitrags Strafanzeige gegen Unbekannt stellen zu wollen.
Die menschenfeindliche Argumentation im gelöschten Tweet des Sozialministeriums ist offenbar kein Einzelfall in Regierungskreisen. So kommentierte der sächsische Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer (CDU) den Fall in Meißen mit den Worten: »Hier gelten unsere Regeln. Niemand wird gezwungen, Geld zu nehmen. Mehr ist dazu nicht zu sagen.«
Der Vorfall hatte sich bereits am Dienstag ereignet. Die Polizei war am Morgen mit Pfefferspray gegen eine Gruppe von 160 Flüchtlingen vorgegangen, die vor dem Landratsamt auf die Auszahlung ihrer Geldleistung wartete. Die Asylsuchenden mussten zunächst bei Minusgraden vor dem Gebäude ausharren, da das Sicherheitspersonal nur wenigen Menschen nacheinander Einlass gewährte. Infolgedessen wurden einige Personen in der Schlange, in der sich auch Frauen und Kinder befanden, unruhig, es kam zu einer Massendrängelei, wie die Sächsische Zeitung berichtete.
Vermutlich zu spät entschied das Landratsamt, zumindest für Frauen und Kinder einen warmen Warteraum zu öffnen. Einige der Wartenden ließen sich dadurch jedoch nicht beruhigen, weshalb Mitarbeiter der Behörde die Polizei hinzuriefen. Nachdem die Beamten die Situation durch ein Gespräch nicht entschärfen konnten, setzten sie Pfefferspray gegen die Wartenden ein.
Das Landratsamt räumte später eigene Fehler ein. Man wolle in Zukunft den Flüchtlingen kommunizieren, dass es nicht nötig sei, sich bereits mit der Öffnung der Behörde um 9 Uhr anzustellen, um die Hilfe auch wirklich ausgezahlt zu bekommen.
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