Barrierefreiheit hilft allen

Sozialverband VdK fordert strenge Auflagen für Wohnungsbau, Verkehr und Privatwirtschaft

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Jahr 2009 unterschrieb die Bundesregierung die UN-Behindertenrechtskonvention. Seitdem hat sich jedoch in Sachen Barrierefreiheit nichts getan.

Die Stufen sind zu hoch, unüberwindbar für Menschen im Rollstuhl, kaum zu schaffen für diejenigen mit Rollator oder Kinderwagen. Der Rollkoffer wird nur mit Mühe hochgehievt. Vor dieser Situation stehen Betroffene in etwa der Hälfte von 5400 deutschen Bahnhöfen. Das Beispiel zeigt zugleich, dass Barrierefreiheit für viel mehr Menschen von Nutzen ist als nur für die Schwer- und Schwerstbehinderten. Darauf setzt der Sozialverband VdK mit seiner neuen bundesweiten Kampagne, die er am Dienstag in Berlin vorstellte.

Anlass für die Forderungen ist die mangelnde Umsetzung der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention. Die wurde 2009 von der Bundesrepublik unterzeichnet, mit der gesetzlichen Umsetzung geht es aber nur schleppend voran. Diesen Mittwoch soll zum Beispiel die Novelle des Behindertengleichstellungsgesetzes im Bundeskabinett verabschiedet werden. Kritik gibt es seitens des VdK vor allem an dem, was nicht geregelt wird: »Die Privatwirtschaft wird weiterhin nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet, die Bereiche Verkehr und Wohnen bleiben völlig ausgespart«, sagt VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Zudem würden in ihrer Heimat Bayern zum Beispiel Bahnhöfe mit weniger als 1000 Ein- und Ausstiegen pro Tag nicht barrierefrei umgebaut. »Hier gibt es zwar einen Service, der steht aber zu selten zur Verfügung - kürzer als etwa die Ladenöffnungszeiten. Hier muss noch mehr passieren.«

Ein weiterer Bereich mit großen Defiziten ist der Wohnungsbau. Zur Zeit gibt es 700 000 altersgerechte Wohnungen, schon jetzt würden aber 2,75 Millionen davon benötigt. Durch entsprechende Umbauten könnte für 15 Prozent der Pflegebedürftigen eine Aufnahme ins Heim komplett vermieden, für viele weitere könnte sie hinausgeschoben werden. Nach Hochrechnungen des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung ließen sich allein für die erste Gruppe bis 2020 sechs Milliarden Euro einsparen, wenn ambulant statt stationär gepflegt würde.

Der VdK fordert deshalb die sofortige Aufstockung des KfW-Programms »Altersgerecht umbauen« auf 200 Millionen Euro. VdK-Geschäftsführer Jens Kaffenberger kritisiert zudem das Hin und Her bei Unterstützung und dem Ausbau der Förderprogramme seitens der Bundesregierung. So seien die Zuschüsse für Einzeleigentümer von Wohnungen wieder gestrichen worden, obwohl sie in der Vergangenheit intensiv nachgefragt worden seien. Insgesamt wurden ein Investitionsprogramm der Bundesregierung von 800 Millionen Euro pro Jahr sowie ergänzende Programme in den Ländern und Kommunen gefordert.

Die Länder sollten verpflichtet werden, Bundesmittel zur Wohnbauförderung zweckgebunden einzusetzen. Zu viel Geld sei anderswo versickert, ergänzt Mascher. Auch die Städtebauförderung müsse verbindlich an Barrierefreiheit geknüpft werden. Zudem wirkten endsprechende Baumaßnahmen wie Konjunkturprogramme: Von jedem investierten Euro flössen 40 Cent an die öffentliche Hand zurück - vor allem durch Umsatz- und Lohnsteuer.

Deutlicher Druck für die geforderten Veränderungen fehlt in vielen weiteren Bereichen. So seien 78 Prozent der Allgemeinarztpraxen nicht ebenerdig zugänglich. Im Internet klickten 1,2 Millionen blinde und sehbehinderte Menschen ins Nichts - ein Zustand, der schnell und ohne große Kosten geändert werden könnte. Auch waren im Vorjahr 96 Prozent der TV-Angebote der acht größten Privatsender nicht für Gehörlose untertitelt. »Es gibt mehr Barrieren, als man sich vorstellen kann«, wurde die Aufzählung von der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Verena Bentele, ergänzt. Ein Touchscreen im Hotelfahrstuhl hinderte die blinde Politikerin kürzlich daran, selbstständig ihre Etage zu verlassen. Bentele dankte dem VdK für die Kampagne. Fehlende Auflagen für die Wirtschaft haben nach ihrer Auffassung die Ursache vor allem in »vermuteten Belastungen«. In einem Land wie der Bundesrepublik sei ein Abwägen in der Umsetzung von Menschenrechten gegenüber finanziellen Fragen nicht akzeptabel.

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