Wo sind all die Bauern hin?

Von der Milchwirtschaft können auch in Rheinland-Pfalz nur noch wenige kleinere Landwirte überleben

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Die niedrigen Milchpreise machen kleineren Landwirten das Überleben schwer. Im ländlich geprägten Rheinland-Pfalz könnte das auch bei anstehenden Landtagswahl von Bedeutung sein.

Auch wenn in Rheinland-Pfalz nur noch jeder 45. Erwerbstätige in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt ist und der Anteil weiter sinkt, ist die Krise bäuerlicher Betriebe im ländlich geprägten Südwesten ein heißes Thema.

So ist landesweit die Zahl der Agrarbetriebe laut Statistischem Landesamt seit 1999 um die Hälfte auf nur noch 18 100 gesunken. Ein Ende des Abwärtstrends ist nicht in Sicht. Derzeit klagen zwischen Eifel, Westerwald und Pfälzer Wald vor allem Milchbauern, dass sie aufgrund niedriger Erzeugerpreise kurz vor dem Ruin stünden. Viele haben sich für moderne Investitionen massiv verschuldet. Weil jedoch der Milchpreis inzwischen auf deutlich unter 30 Cent pro Liter gesunken ist, arbeiten viele Höfe nicht mehr kostendeckend und leben von der Substanz. »Das ist so, als würden Sie jeden Tag ihrem Chef noch Geld mitnehmen, damit sie bei ihm arbeiten dürfen«, klagt der Bauer Johann Hirt aus Saarburg-Kahren im äußersten Westen des Landes. »Wir haben Produktionskosten von 50 Cent und machen täglich etwa 150 Euro minus, die wir entweder über Kredit oder Erspartes drauflegen.«

Hirt hat auf seinem Anwesen als zweites Standbein einen Hofladen eingerichtet, um Eier, Wurst und Fleisch aus eigener Produktion zu vermarkten. Als Aktivist im Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) denkt er über den Horizont der eigenen Scholle hinaus und sucht den Schulterschluss mit Kollegen. Immer wieder reist er zu Demonstrationen, bei denen die Bauern lautstark auf ihre missliche Lage aufmerksam machen. »Wir sind auf jeder Agrarministerkonferenz dabei, seit zwölf Jahren habe ich keine Demo verpasst, egal in welcher deutschen Stadt«, sagt Hirt nicht ohne Stolz. »So lernt man Deutschland kennen. Es ist unsere Pflicht, dafür zu kämpfen, dass unsere Höfe überleben.«

Hirt kennt Landwirte, deren Frauen neben der täglichen Mithilfe im Betrieb notgedrungen als Pendlerinnen im nahen Luxemburg arbeiten. »Das sind Querfinanzierungen, um Kraftfutter zu kaufen oder den Tierarzt zu bezahlen. So überleben einige Familienbetriebe mit mehr als 100 Kühen!« Bei europaweiten Bauernprotesten im Oktober 2015 in Brüssel hat er erfahren, dass Banken in Belgien etliche überschuldete Agrarbetriebe stillgelegt und zwei betroffene junge Milchbauern sich in ihrer Verzweiflung das Leben genommen haben. »Wir ertragen das nicht mehr«, hätten die belgischen Kollegen gesagt. »Sie waren so wütend, dass sie das EU-Parlament stürmen wollten«, erinnert sich Hirt.

Zur Kundschaft im Hofladen zählt auch die Saarburger Landtagskandidatin Kathrin Meß (LINKE), die beim Einkauf regelmäßig mit Hirt über die Lage der Milchbauern diskutiert und dabei politische Gemeinsamkeiten entdeckt. »Die von der Bundesregierung verfolgte Wachstumsstrategie und Exportorientierung dient nur den großen internationalen Nahrungsmittelkonzernen und wenigen Investoren, die mit billigen, subventionierten Produkten die Märkte im Inland und in Übersee beherrschen und kontrollieren wollen«, so Meß, die auf Platz zwei der Landesliste ihrer Partei zur Landtagswahl am 13. März antritt. Sie sympathisiert mit dem Vorschlag des BDM, ein eigenes Regulierungssystem zur Steuerung der produzierten Milchmenge und Stabilisierung der Erzeugerpreise einzuführen. Leider lehne ein Block aus Bundesregierung, EU-Kommission und regionalem Bauern- und Winzerverband diesen Vorschlag im Interesse großer Konzerne ab. Dass dies mit gebetsmühlenartigen Verweisen auf einen »globalisierten Markt« und »unkontrollierbare Warenströme« geschehe, sieht sie als »Bankrotterklärung der Politik gegenüber der Wirtschaft« an. »Politische Entscheidungsträger müssen dafür sorgen, dass ganzen Berufsgruppen nicht die Lebensgrundlage entzogen wird«, so Meß.

Ob die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin und Winzerstochter Julia Klöckner, die als Agrarstaatssekretärin in Berlin bis 2013 die vom BDM heftig kritisierte Politik mit umgesetzt hat, nach wie vor auf Rückhalt des bäuerlichen Rheinland-Pfalz rechnen kann, wird die Auszählung am Wahlabend zu Tage fördern.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -