So sind sie halt, die Männer?
Ursachen von sexualisierter Gewalt können beseitigt werden
Der CDU-Politiker Frank Oesterhelwig hat sich für den Schusswaffengebrauch gegen Täter ausgesprochen, die wie in der Kölner Silvesternacht auftraten. »Wir sind hier nicht im Mädchenpensionat«, sagte er. Was halten Sie davon?
In dieser Art des Sprechens wird ein bestimmtes Muster von Männlichkeit deutlich, das auf die Durchsetzung eines Gewalttätigen gegen den anderen Gewalttätigen abzielt. Damit geht eine Normalisierung von Brutalität einher. Das entspricht der fundamentalistischen Grundposition, Männer müssten beschützen, zuschlagen und schießen, wenn es darauf ankommt. Das Mädchenpensionat steht für jene, die es zu beschützen gilt. Hierin drückt sich eine patriarchal sexistische Aufteilung der Geschlechter aus.
Ist es denn wichtig, diese Aufteilung zu durchbrechen?
Ja, zum einen ist die Geschlechterdiversität bereits groß, werden Kinder aber immer wieder in eine bestimmte Rolle gedrängt. Zum Beispiel über die Sprache. Wir loben Mädchen zu häufig für ihre harmonisierende Zurückhaltung und nennen das soziales Verhalten. Wenn sie mädchenuntypisch daherkommen und sich für ihre Interessen einsetzen, finden wir das nicht mehr normal. Ein Junge muss damit rechnen, abgewertet zu werden, wenn er sich offensiv gegen sexistisches Verhalten anderer Jungen positioniert. Er erntet eher Lob, wenn er sich »wie ein richtiger Mann« verhält, der nicht so kleinlich ist. Jungen wie Mädchen lernen also, dass sie soziale Anerkennung eher erlangen, wenn sie den jeweiligen Männlichkeits- und Weiblichkeitsanforderungen entsprechen.
Seit 1989 arbeitet dissens - Institut für Forschung in Bildung e.V. im Bereich geschlechtsreflektierter Pädagogik. Der Diplom-Soziologe Olaf Stuve ist seit über acht Jahren in dem Institut tätig. Er beschäftigt sich u.a. mit Forschung, Beratung und Fortbildungsangeboten zum Thema Geschlecht & Gewalt(-Prävention). Marisa Janson fragte nach seiner Einschätzung zum öffentlichen Umgang mit der Köln-Debatte und seinen Vorschlägen zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt.
Jährlich werden 7300 sexuelle Nötigungen und Vergewaltigungen angezeigt. Warum nimmt die Thematik verhältnismäßig wenig Platz ein in der öffentlichen Debatte?
Das liegt meines Erachtens an dieser Normalisierung. Sexualisierte Gewalt wird als natürlich angesehen. Außerdem wissen Institutionen immer noch viel zu wenig über die Konsequenzen von sexualisierter Gewalt und bagatellisieren deswegen oftmals.
Das neu gegründete Bündnis »Ausnahmslos « fordert Schulungen bei Polizei und Justiz. Schließen Sie sich an?
Auf jeden Fall. Institutionen, die potenziell mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt in Kontakt kommen, müssen über deren Auswirkungen wissen. Gewalt macht krank und zerstört oftmals die Lebenssituationen von Betroffenen. Die Institutionen müssen aktive Unterstützung anbieten. Üblich ist stattdessen aber eine Täter-Opfer-Umkehrung.
Was bedeutet Täter-Opfer-Umkehrung?
Frauen oder auch anderen Betroffenen wird die Schuld dafür zugeschrieben, wenn sie von Männern sexualisierte Gewalt erfahren mussten. Dabei werden immer wieder klassische Bilder bemüht: sie seien verkehrt angezogen, sie hielten sich an einem verkehrten Ort auf oder sie verhielten sich nicht unauffällig genug. Oder sie hätten sich nicht genügend gewehrt oder nicht genügend deutlich gemacht, dass sie nicht wollen, was da gerade passiert. Und Männer seien eben so. Ich würde das als vergeschlechtlichten Platzanweiser bezeichnen. Sie beinhalten die Aufforderung an Frauen, immer mitzudenken, wie Männer handeln.
Wie müsste ein Weiterbildungsangebot für die Polizei aussehen?
Expertinnen und Experten müssen die Arbeitssituationen genau analysieren und zusammen mit den Beamtinnen und Beamten an Veränderungen arbeiten und Fortbildungen empfehlen. Diskriminierung und ein unsensibler Umgang finden oft unbeabsichtigt statt - etwa bereits durch die Art und Weise des Nachfragens bei den Opfern von sexualisierter Gewalt. Ich würde mir konkret ansehen, wie die Beamtinnen und Beamten Fragen stellen und unter welchen Bedingungen sie arbeiten. Aus diesen Erfahrungen würde ich Leitlinien erarbeiten und erproben.
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