Ein aufgeschobener Konflikt
Wolfgang Hübner über Fernsehboykotte und den Ausschluss der AfD von Vorwahl-Sendungen
Natürlich, mit Führungsfiguren der Alternative für Deutschland (AfD) möchte ein Mensch von einigermaßen demokratischer Gesinnung nicht reden. Wer unterhält sich schon gern mit Leuten, zu deren Standardprogramm Rassismus und Pöbelei gehören? Und zu deren Wahl nun auch noch die nach rechtsaußen hemmungslos offene Pegida-Bewegung aufruft?
Insofern kann man den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), seine rheinland-pfälzische Amtskollegin Malu Dreyer (SPD) und Kretschmanns Stellvertreter Nils Schmid (SPD) gut verstehen, die sich weigern, an Vorwahl-Debatten inklusive AfD beim Südwestrundfunk teilzunehmen. In beiden Ländern wird am 13. März gewählt, und traditionell lassen kurz zuvor die zuständigen ARD-Sender die Spitzenkandidaten streiten. Allerdings lösten die drei Politiker mit ihrer Boykottdrohung ein kleines medienpolitisches Beben aus. Denn der SWR, vor die Alternative gestellt, ohne die Regierungschefs über die anstehende Wahl zu diskutieren oder die ungeliebte AfD auszuschließen, entschied sich für Letzteres. Im Windschatten des AfD-Verweises blieben gleich noch andere kleinere Parteien draußen, darunter die LINKE in Baden-Württemberg.
Inzwischen hat sich der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) entschlossen, vor der Sachsen-Anhalt-Wahl (ebenfalls am 13. März) die AfD ebenfalls nicht in die Spitzenrunde einzuladen. Dort hatte nicht einmal jemand mit Boykott gedroht. Diese Senderentscheidungen werden nun schwer kritisiert. »Kapitale politische Dummheit«, sagt der Parteienforscher Oskar Niedermayer. »Keine besonders imponierende Geste der Meinungsfreiheit«, meint der Politologe Wolfgang Merkel. Und so weiter. Man kann ihnen nur zustimmen, muss aber hinzufügen, dass die Dummheit nicht beim SWR beginnt, sondern bei den Politikern, die mit Boykott drohten.
Denn was ist nun gewonnen? Das Argument, man wolle den Rechtspopulisten und Ausländerhassern kein Podium bieten, klingt all zu sehr nach 20. Jahrhundert. AfD, Pegida und Co. habe längst ihre Bühnen und Tribünen: auf den Straßen, im Internet. Jeder kann nach Belieben in dieses demokratiefeindliche Paralleluniversum eintauchen. Die AfD brauchte das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht, um sich zu Umfragewerten von teils über zehn Prozent aufzuschwingen; sie braucht auch die TV-Debatte mit anderen Spitzenkandidaten nicht, um ihre Anhänger bei Laune zu halten. Die laufen sowieso in der Überzeugung durch die Gegend, dass irgendein Schweige- oder Ausgrenzungskartell der so genannten Systemparteien ihre Lieblinge mundtot machen will. Entsprechende Kommentare lieferten AfD-Vertreter selbstverständlich sofort ab.
In einer TV-Debatte dagegen müsste man sich zwar die AfD-Parolen anhören – soviel Leidensfähigkeit im Dienste der Demokratie müsste schon sein. Die AfD-Vertreter allerdings könnten, anders als auf ihren Hassdemos etwa in Erfurt, der kritischen Auseinandersetzung nicht ausweichen. Ohnehin schiebt der Ausschluss bei SWR und MDR diese Konfrontation nur um ein paar Tage auf. Denn angesichts der Umfragewerte zweifelt kein Mensch daran, dass die AfD demnächst in den Landtagen von Stuttgart, Mainz und Magdeburg sitzt. Dann helfen auch keine Boykotte mehr. Wenn die erste Euphorie verflogen ist, schlägt allerdings die Stunde der Wahrheit für die Rechtspopulisten – in der praktischen politischen Arbeit, bei der über einen längeren Zeitraum die klägliche politische Substanz unter der Propaganda-Oberfläche deutlicher sichtbar wird. So geschehen mit der DVU in Sachsen-Anhalt und Brandenburg, mit den Republikanern im Südwesten, mit der NPD in Sachsen.
Das funktioniert aber nur dann, wenn die demokratischen Parteien bereit sind zu einer offensiven Auseinandersetzung, die inhaltlich deutliche Grenzen zieht, aber formal nicht ausgrenzt. Die entschlossen und in gemeinsamem demokratischem Grundverständnis geführt und nicht als Spielwiese für eigene Profilierung benutzt wird – wie jetzt durch die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner, die den SPD-Boykott gegen die AfD mit einem Boykott ihrerseits beantwortet.
Vorerst jedoch darf sich die AfD in geübter Empörungspose über den TV-Ausschluss entrüsten. Ihr wächst dadurch unverhoffte Wahlwerbung zu. Mit eigenen Mitteln hätte sie eine solche Aufmerksamkeit kaum erreicht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.