Die Eiszeit ist noch da
Der vom Menschen beeinflusste Klimawandel könnte einer neuen Studie zufolge die nächste Kaltzeit deutlich hinauszögern. Von Walter Schmidt
Das Jahr 2015 war das wärmste seit 1880, dem Beginn einheitlich erhobener Temperaturdaten. Der vom Menschen angefachte Klimawandel schreitet fort. Mehr noch: Der Mensch sei inzwischen sogar zu einer »geologischen Kraft« geworden, die das Einsetzen der nächsten Kaltzeit mit starker Vergletscherung infolge eines beträchtlichen Ausstoßes von Kohlendioxid (CO2) fast ganz unterdrücken könne. So lautet das wesentliche Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Damit würde die aktuelle Warmzeit, das seit etwa 12 000 Jahren herrschende Holozän, ungewöhnlich lange andauern.
Dazu tragen allerdings nicht nur die CO2-Emissionen der Menschheit bei, sondern auch eine über längere Zeit - nämlich einige Jahrtausende - deutliche rundere Bahn der Erde um die Sonne. Dadurch bleibt die Erde ständig näher am wärmenden Zentralgestirn, statt sich beim jährlichen Durchlaufen einer leichten Ellipse zeitweise weit von ihm zu entfernen. Das wird sich nach Modellierungen der PIK-Forscher erst in etwa 50 000 Jahren wieder deutlich geändert haben.
Dies bedeutet zunächst: »Auch ohne den menschengemachten Klimawandel würden wir den Beginn einer neuen Eiszeit erst in etwa 50 000 Jahren erwarten - das macht das Holozän als gegenwärtige Epoche bereits zu einer ungewöhnlich langen Phase zwischen zwei Eiszeiten«, sagt Andrey Ganopolski, der Leitautor der im Fachjournal »Nature« (DOI: 10.1038/ nature16494) veröffentlichten Studie. Die Berechnungen zeigten »jedoch auch, dass bereits relativ moderate zusätzliche CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Öl, Kohle und Gas ausreichen, um die nächste Eiszeit um weitere 50 000 Jahre zu verzögern.« Sollte sich dies so bewahrheiten, träte die nächste Kaltzeit - von den PIK-Forschern umgangssprachlich »Eiszeit« genannt - erst in etwa hunderttausend Jahren ein.
Und trotzdem lebt die Menschheit, was selten erwähnt wird, streng genommen noch immer in einer - diesmal korrekt so genannten - Eiszeit. »Die Sache ist schon ein bisschen paradox«, sagt der Meeresgeologe Johann Philipp Klages vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. »Wir sprechen immer von der ›letzten Eiszeit‹, die vor etwa 12 000 Jahren geendet haben soll, dabei hält sie noch immer an.«
Aus Sicht von Experten liegt eine Eiszeit nämlich immer dann vor, »wenn große Teile der Erde dauerhaft vergletschert sind«. Damit meint Klages vor allem die Polkappen, also die eisbedeckte Antarktis auf der Südhalbkugel und den zwei bis drei Kilometer dicken grönländischen Festlands-Eisschild nahe dem Nordpol, der seinerseits großflächig von Meereis bedeckt ist. Allein das - wohlgemerkt komplette - Schmelzen des Grönlandeises würde den Meeresspiegel weltweit um gut sieben Meter heben.
Umstritten unter Fachleuten ist, ob beim Vorliegen einer Eiszeit beide Polkappen vereist sein müssen oder bloß eine. Letzteres ist seit mehr als 33 Millionen Jahren der Fall: Denn so lange schon befindet sich die Erde im sogenannten Känozoischen Eiszeitalter - benannt nach der Erdneuzeit (Känozoikum).
Ausgelöst durch kontinentale Verschiebungen, welche die Antarktis von Südamerika und Australien trennte, konnte sich seinerzeit erstmals ein Meeresstrom ausbilden, der die gesamte Antarktis umrundete. Dieser unterband das Vordringen vergleichsweise warmen Wassers von Norden her zur Antarktis, weshalb die Temperatur weltweit um etwa fünf Grad Celsius sank. In der Folge begann die Antarktis zur vergletschern - erstmals wieder seit über 250 Millionen Jahren. Insgesamt geht man von sieben Eiszeitaltern in der Erdgeschichte aus, deren ältestes vor etwa 2,4 Milliarden Jahren begonnen haben soll.
Beide Pole - also auch die Arktis - sind erst seit etwa 2,6 Millionen Jahren vereist, womit der jüngste Zeitabschnitt der Erdgeschichte begonnen hat: das Quartär. Für einen Teil der Fachleute war erst mit der Vergletscherung beider Pole die entscheidende Bedingung erfüllt, um von einer Eiszeit zu sprechen.
Heute leben wir immer noch in diesem Eiszeitalter, allerdings in einer warmen Epoche oder Warmzeit mit dem schon erwähnten Namen Holozän. Diese Phase löste vor etwa 12 000 Jahren das Pleistozän ab, mit dem das Quartär vor 2,6 Millionen Jahre eingesetzt hatte.
Innerhalb des Pleistozäns gab es elf größere Kaltzeiten, in denen die Eispanzer wuchsen und mächtige Gletscher aus Gebirgen die Täler hinab krochen - nördlich der Alpen bis weit ins Alpenvorland und in Norddeutschland, von Skandinavien kommend, zum Teil bis an die Schwelle der Mittelgebirge.
Von den elf Kaltzeiten des Quartärs sind in Deutschland nur noch von vieren Spuren im Gelände sichtbar (im Alpenraum von der Günz-, Mindel-, Riß- und Würm-Kaltzeit, in Norddeutschland von den dort anders benannten Elbe-, Elster-, Saale- und Weichsel-Kaltzeiten). »Umgangssprachlich werden Kaltzeiten oft Eiszeiten genannt«, sagt Johann Philipp Klages. In den dazwischenliegenden, kürzeren Warmzeiten verschwinden zumindest die großen festländischen Eisschilde nicht ganz, und in Hochgebirgen halten sich oft Gletscherreste.
Von den elf Kaltzeiten der gegenwärtigen Eiszeit war die Würm-Kaltzeit des Alpenraumes (in Norddeutschland als Weichsel-Kaltzeit bezeichnet) mit ihrem Maximum vor 20 000 Jahren die jüngste und letzte - oder vielmehr: die bisher letzte. Denn die nächste Kaltzeit kommt bestimmt. Wann genau, sei »sehr, sehr unsicher«, urteilt Klages. Zu komplex ist das Gefüge und Zusammenspiel möglicher Ursachen für Kalt- und Warmzeiten. Dass die Menschheit imstande sein wird, mit klimawirksamen Abgasen die nächste Phase massiver Gletschervorstöße zu verhindern, sei eher unwahrscheinlich; viel eher werde sie die kommende Kaltzeit »nur hinauszögern« können. Genau dies legt auch die aktuelle PIK-Studie nahe.
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