Nicht nur Fernsehmärchen

Die Ken-Follett-Verfilmung »Die Pfeiler der Macht« im ZDF

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Und wieder gibt’s eine Zielgruppe mehr, die das Publikum in senderbedarfsgerechte Portionen häckselt. Nach 0-3 (Teletubbies), 14-29 (Pro 7) 14-49 (RTL), 29-59 (ZDFneo) und 66-199 (ZDF) plant die indische Mediengruppe Zee einen Kanal für Frauen von 19 bis 59, der 24 Stunden am Tag Bollywoodfilme zeigt. Natürlich nur »die besten«. Wobei sich angesichts des Niveaus besserer Operetten vom Subkontinent weniger fragt, wie denn bitte »die schlechten« klingen, als vielmehr, was als nächstes rund um die Uhr läuft.

Nach 24 Stunden Snooker (Eurosport), Hitler (ZDFinfo), Heimat (Dritte), Testosteron (DMax), Östrogen (Sixx) und Menopause (Sat. 1 Gold) fehlen ja eigentlich nur noch 24 Stunden Dschungelcamp. Von 24 Stunden Politik allerdings sind sogar die zuständigen Kanäle mit »n« im Namen weit entfernt. Und auch die ARD springt da trotz anderslautender Bekundungen allenfalls an Wahlabenden mit Berichterstattung oberhalb einer Spielfilmlänge ein. Im März hingegen könnte es in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schon nach der ersten Hochrechnung mit dem »Tatort« weitergehen, wenn der SWR die Alternative für Deutschland auf Druck der dortigen Regierungschefs wirklich von der Elefantenrunde ausschließt. Das allerdings wäre nicht nur ein Bruch gewohnter TV-Routinen, sondern das ärmste Zeugnis verzagter Debattenkultur.

Es erinnert an vordemokratische Zeiten, als die Eliten ihre Gegner lieber ausgesperrt als akzeptiert haben. Aber auch sonst verschloss das Establishment ja stets die Augen vor dem Elend an der Elfenbeinturmtür, was sich bis tief in unsere Gegenwart in Historiendramen fortsetzt, die Armut irgendwie putzig illustrieren. Zum Glück herrscht mittlerweile mehr Realitätssinn am Drehort. Es staubt und fault und stirbt also auch in »Die Pfeiler der Macht« gehörig aus dem Bildschirm, wenn der ZDF-Zweiteiler 1866 auf Londons Straßen einsteigt.

Fern vom unverblümt inszenierten Alltag der Massen nimmt sich der bankrotte Unternehmer Toby Pilaster das Leben und reißt so zwei Hauptfiguren der Verfilmung von Ken Folletts Bestseller mit sich: Die arme Maisie Robinson, deren Vater durch Pilasters Pleite das Weite sucht. Und seinen Sohn Hugh, der vom Erben zum Banklehrling absteigt. Keine Frage, dass sich die Wege der zwei bald kreuzen. Fernsehmärchen eben. Und doch ist dieser steinige Weg vom Aschenputtel zum Prinzen ein bisschen anders, dezenter vor allem, besser.

Denn diese Maisie Robinson (Laura de Boer) ist eine hinreißend zähe Marxistin, die sich auf ihrem Weg zu Glück und Liebe mit Feinden wie Jeannette Haein als herrlich intrigante Pilaster-Patriarchin herumschlägt, deren dekadente Verwandtschaft von Axel Milberg bis Rolf Hoppe so fabelhaft besetzt ist, dass die arg moderne Sprache und süßliches Eye Candy wie Yvonne Catterfeld kaum weiter stören. Opulent ausgestattet und leidenschaftlich gespielt, ist Christian Schwochows Kostümfest daher durchaus gelungen, auch wegen der glaubhaften Diskrepanz von Arm und Reich, der es nicht nur um Schauwert geht. Dem Elend sei Dank.

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