Von der Katastrophe langsam erholen

Folge 85 der nd-Serie »Ostkurve«: Am Sonntag feiert der FC Energie seinen 50. Geburtstag. Ein Besuch in Cottbus

Von der BSG zum FC , 50 Jahre Energie: An die die erfolgreichste Zeit - 17 Jahre Bundesligafußball - will Cottbus wieder anknüpfen.

Noch vier Tage. In der Fußgängerzone der Spremberger Straße deutet am Mittwoch fast gar nichts auf das große Jubiläum hin. Es ist beschaulich. Die Cafés und Restaurants im Cottbuser Stadtzentrum sind zur Mittagszeit gut gefüllt. Die Marktschreier draußen müssen nicht schreien. Die Leute nehmen sich Zeit, schlendern von Stand zu Stand. Nur wer den Blick hebt und Richtung Süden schaut, wird fündig. In 30 Meter Höhe weht eine Fahne des FC Energie Cottbus - auf dem Spremberger Turm. Ein seltenes Bild.

Rot und Weiß und der goldene Ährenkranz: Seit Montag thront das Vereinsemblem über der Stadt - und noch bis zu diesem Sonntag. Genau dann feiert der Fußballclub aus der Lausitz seinen 50. Geburtstag. So wie derzeit viele Vereine im Osten. Auf Beschluss der DDR-Sportführung wurde der Fußball im Winter 1965/1966 neu strukturiert. Um Anschluss an das europäische Spitzenniveau zu finden, verlassen die Fußballsektionen die großen Sportclubs, es gründen sich zehn eigenständige FCs. In Cottbus wird aus dem SC am 31. Januar 1966 erst mal eine BSG. 24 Jahre später spielt im Stadion der Freundschaft dann fortan auch ein FC. Nach der politischen Wende wurde aus der Betriebssportgemeinschaft der Fußballclub Energie Cottbus.

Relativ ruhig ist es am Mittwoch auch auf dem Vereinsgelände. An der Geschäftsstelle, ein Provisorium aus Wellblech, schrauben zwei Bauarbeiter herum. Immer mal wieder wurde der Container in den vergangenen 13 Jahren aufgehübscht. Heute werden neue, rot leuchtende Tafeln mit den Namen der Sponsoren angebracht. Letzte Vorbereitungen für den Sonntag. Dann kommt Fortuna Köln in die Lausitz, beim Jubiläumsspiel geht es um Punkte in der 3. Liga.

Drinnen stapelt sich die Arbeit noch - Programmhefte, Werbebroschüren, Fanshopmaterial. Die Frau am Empfang telefoniert ununterbrochen - Ticketwünsche, Fragen zur ermäßigten Rückrundendauerkarte oder zur geplanten großen Stadionchoreografie am Sonntag. »Hey, wie gehts«, ruft Vasile Miriuta. Lässigen Schrittes kommt der Cottbuser Trainer die Treppe von der oberen Etage herunter, grüßt auch noch mit einem Zwinkern und einem Schulterklopfer. Diese Mischung aus Professionalität und Lockerheit haben sie hier vermisst. Als der 47-Jährige Ende September als neuer Trainer verpflichtet werden konnte, war die Freude groß - im Verein und dessen Umfeld, bei den Fans sowieso. Der Name Miriuta, das verschmitzte Lächeln, die markante kahlköpfige Gestalt, all das weckte sofort positive Erinnerungen. Mit dem in Rumänien geborenen Mittelfeldregisseur stieg der FC Energie im Jahr 2000 erstmals in die 1. Bundesliga auf. Er war einer der prägenden Spieler dieser Zeit.

Es ist ein kurzer Weg von der Geschäftsstelle zum Sozialgebäude. Angenehmer Smalltalk. Angekommen im zweiten Stock drückt Miriuta eine Tastenkombination, die Tür zum Trainerzimmer öffnet sich automatisch. Damals, als Spieler, musste er hierherkommen, wenn Eduard Geyer Gesprächsbedarf hatte. Jetzt hat er selbst hier seinen Platz. Miriuta schaut sich um: »Es sieht fast noch genau so aus wie früher.« Er sitzt gern hier. »Ich habe damals als Trainer in der ersten rumänischen Liga gearbeitet. Als der Anruf von Energie kam, musste ich nicht überlegen. Ich habe sofort Ja gesagt. Am nächsten Tag war ich dann schon in Cottbus. Ich wollte meinem Verein unbedingt helfen«, erinnert er sich.

Bevor Miriuta kam, musste Stefan Krämer gehen. Nach neun Spieltagen hatte Cottbus acht Punkte und stand nur dank des besseren Torverhältnisses noch vor dem kommenden Gegner Fortuna Köln und den Abstiegsplätzen. Die Konsequenzen eines weiteren Abstiegs will sich hier keiner vorstellen. Bitter genug war schon der Abschied von der Zweitklassigkeit 2014. »Der Abstieg in die dritte Liga war eine sportliche und finanzielle Katastrophe. Der Wegfall von rund 5,5 Millionen Euro durch das Fernsehgeld ist in unserer Region nicht durch Sponsoren zu kompensieren«, blickt Wolfgang Neubert zurück. Seit 2005 gehört er dem Präsidium des Vereins an, seit dem Sommer 2014 führt er ihn an.

Als Neubert sein Amt antrat, wusste keiner so recht, wie es weitergehen soll. Gerade mal elf Spieler erschienen zum ersten Training, nur drei davon hatten überhaupt einen gültigen Vertrag. Am Mittwoch steht Neubert vor der Geschäftsstelle - und kann wieder optimistischer in die Zukunft schauen. Dank großer Unterstützung. »Nach dem Abstieg sind fast alle unsere Sponsoren geblieben, und die meisten davon geben genau so viel wie davor.« Rund 200 Sponsoren hat der FC Energie, die den Verein jährlich mit insgesamt 4,2 Millionen Euro unterstützen. Optimistisch macht auch Miriutas gute Arbeit. Zwar hat Cottbus immer noch nur drei Punkte Vorsprung auf die Abstiegsplätze, mit dem neuen Trainer ist die Mannschaft aber noch immer ungeschlagen und holte 16 Punkte aus zehn Spielen.

Dennoch: Von der Katastrophe kann sich der Klub nur langsam erholen. Für Miriuta zählt in dieser Saison »nur der Klassenerhalt«. Und einig sind sich Trainer und Präsident darin, dass ein Aufstieg in Cottbus nicht planbar ist. »Dafür fehlt uns einfach das Geld. Die dritte Liga ist zu stark und ausgeglichen. Wir müssen immer auch auf die Schwäche der anderen hoffen«, sagt Neubert und nennt Vernunft und Verantwortung als seine Geschäftsprinzipien: »Wir werden finanziell nichts tun, was den Verein gefährdet.«

Das liebe Geld. Fast hätte es die Vereinsfahne gar nicht auf den Spremberger Turm geschafft. »Das ist richtig teuer«, erzählt Pressechef Lars Töffling von einer Bergsteigergenehmigung, die beantragt werden musste, um auf dem sieben Jahrhunderte alten, denkmalgeschützten Ziegelsteinbau Flagge zeigen zu können. »Unsere Stadt ist eben nicht reich«, ergänzt Neubert. Mit der Unterstützung für die anstehenden Feierlichkeiten rund um den Vereinsgeburtstag ist er aber zufrieden. Nach dem Jubiläumsspiel gibt es am Sonntag einen Festakt im Staatstheater. Am 13. Februar steigt eine Fanparty. »Und nach der Saison kommt auch noch was«, verspricht Töffling, »im Sommer feiert es sich einfach besser.«

Gemessen an der Bedeutung des Klubs, müsste die Fahne wohl ständig hoch oben wehen. »Der FC Energie ist noch immer der größte Imagefaktor für Cottbus, auch in der dritten Liga«, sagt Neubert. Erst durch den Bundesligaaufstieg im Jahr 2000 und dann insgesamt 17 Jahren in der ersten und zweiten Liga errang die Stadt in der Lausitz bundesweite Beachtung. Wehmut ist Neuberts Sache deswegen nicht, vielmehr Verpflichtung: »Natürlich wollen wir daran wieder anknüpfen. Das ist unsere Motivation, auch weil der Verein für die Region und die Menschen hier sehr wichtig ist.«

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