Wer ist der Schwanz der Bestie?

Die ver.di-Mediengalerie präsentiert politische Cartoons des Cartoonistverbandes

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Perversität des Kapitalismus sorgt immerhin dafür, dass es viele Motive gibt, die zur bildlichen Umsetzung taugen. Das zeigt sich in der Ausstellung »Lob des Kapitalismus - ein Versuch in Bildern«, die vom Verein »Cartoonlobby« organisiert wurde und derzeit in der »Mediengalerie« der Gewerkschaft ver.di zu sehen ist.

Die Cartoonlobby ist eine Art Berufsverband mit 78 Mitgliedern, darunter auch Galerien und Museen. Im brandenburgischen Luckau betreibt er sein Cartoonmuseum, für das er derzeit ein neues Domizil in Berlin sucht. In Luckau war schon 2014 eine größere Version der jetzigen Ausstellung zu sehen.

Es handelt sich in der verkleinerten Fassung um eine Sammlung von Werken von 38 Vereinsmitgliedern, davon einige prominente Zeitungskarikaturisten. Auch die nd-Stammzeichner Harald Kretzschmar, Christiane Pfohlmann und Rainer Hachfeld sind dabei. Die Themenpalette ist breit, die Durchdringung des Themas Kapitalismus und die humoristische Qualität reichen von sehr schwach bis sehr gelungen.

Viele der besseren Werke arbeiten mit Ironie, ein »Lob des Kapitalismus« kommt aber selten vor. Manche Zeichnungen sind sehr schlichte Anklagen. Da steckt in einem riesigen Haufen Totenschädel eine Fahne, auf der »Geld« geschrieben steht, oder es fließen aus einer Ölleitung Knochen und Blut mit heraus. Auch die Unart, bei wenig inspirierten Darstellungen einfach auf Personen draufzuschreiben, wen sie symbolisieren sollen - »das Volk«, »die Rüstungslobby« - ist anzutreffen. Am plattesten ist ein großes Bild, bei dem eine Gruppe Menschen in einer Art Hamsterrad, die »die Schaffenden« genannt werden, einem Menschen im Liegestuhl gegenübergestellt werden, der für »die Raffenden« steht.

Die Schau enthält aber auch eine Zeichnung mit besonders viel Tiefgang. Der Leipziger Zeichner Schwarwel bildet eine schwarze, mit Währungskürzeln übersäte Schlange ab, die mit zwei schlangenuntypischen Händen ihren eigenen Schwanz würgt. Das vermenschlichte, mit seinen (über)großen Zähnen Furcht einflößende Tier trägt Hut sowie Frack, aus denen Geldscheine quellen, und ist mit »Die Bändigung des Kapitalismus« überschrieben. Wer soll den Kapitalismus bändigen? Gängigen Vorstellungen zufolge der Staat. Doch Schwarwel drückt aus: Es gibt in dieser Gegenüberstellung keine voneinander getrennten Kräfte, sondern nur zwei Enden desselben Körpers: Kopf und Schwanz der Schlange. Die Bestie kämpft gegen sich selbst. Solange das Kapital existieren darf, wird es sich auch in den Strukturen, die die gesellschaftlichen Machtverhältnisse abbilden, durchsetzen. Zu fragen bleibt dann nur noch, ob das offensichtlich mächtigere Ende der Bestie - das mit den Zähnen und den Händen - der Staat ist, der versucht, das Kapital ruhigzustellen? Oder ob es auch mal umgekehrt sein kann, dass der Staat der Schwanz ist, der so tut, als könnte er mit dem Hund beziehungsweise mit dem Schlangenkopf wackeln?

Beim an der Oberfläche der kapitalistischen Zustände verharrenden Rest der Zeichnungen sind jene stark, die mit Zynismus arbeiten. Da steht ein Puppentheater vor einigen dunkelhäutigen, sehr abgemagerten Kindern, und die Handpuppe stellt die altbekannte Frage: »Hallo Kinder, seid ihr noch alle da?« Oder es kauern Kinder mit einer unglücklich dreinschauenden Frau an einer Hausmauer. Und als diese von einem vorbeigehenden Wohlstandsmenschen gefragt werden, ob sie Hunger haben, antwortet die Frau: »Nein, wir sorgen uns um den DAX.« Auch in anderen Cartoons geht es um die Verantwortung eines jeden von uns dafür, dass sich »die Märkte« wohlfühlen.

Mit einer schönen Idee wird gezeigt, wie die Kommerzlogik das Soziale durchdringt: Ein schon ausgezogener Mann küsst im Bett eine Frau und zieht ihr das Nachthemd aus, doch sie sagt nur grimmig: »Nach meinem letzten Rentenbescheid kann ich das nicht mehr ehrenamtlich machen.« Wegen solcher Ausflüge in die Welt der kapitalistischen Zumutungen und wegen des Einblicks in den CartoonistInnenverband ist die knapp gehaltene Ausstellung einen Besuch wert.

»Lob des Kapitalismus - ein Versuch in Bildern«, Mediengalerie, Dudenstr. 10, Tempelhof, Mo und Fr 14-16 Uhr, Di 17-19 Uhr, Do 13-18 Uhr. Bis 26.2.

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